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Future of Communication
Ausgabe
01/2022
Das Metaverse als Science-Fiction-Vision

Von Jonas Frick

Das "Metaverse" gilt als das nächste grosse Ding, das nächste Internet. Facebook möchte es bauen und hat sich dafür in Meta umbenannt. Wer wissen will wohin der Trend geht, sollte verstehen woher er kommt.

Der Begriff Metaverse geht auf Neal Stephensons Roman Snow Crash (1992) zurück. Das Science-Fiction-Werk des amerikanischen Schriftstellers gehörte nicht nur zu den Verkaufsschlagern im Silicon Valley, es fand sich auch auf den Leselisten des Facebook Managements. In Snow Crash erhält man dank einer Laserprojektion auf eine Brille Zugang zu einer virtuellen Welt mit dem Namen Metaverse. Entgegen der bunten Vision der Meta-Werbevideos erscheint Stephensons Zukunft allerdings düster. In der dystopischen Welt bekämpfen sich verschiedenste Unternehmen und Banden, während die Hauptfigur als Hacker die Ausbreitung der geheimnisvollen Droge «Snow Crash» stoppen muss. Das scheint auf den ersten Blick kein sonderlich attraktive Vorlage für ein Unternehmen, das durch Millioneninvestitionen die Zukunft des Internets verspricht.

Doch Stephensons Roman bietet eine Reihe Visionen, die es zum einflussreichen Meilenstein der Science-Fiction Literatur machten. Dazu braucht es etwas Kontext. Snow Crash ist Teil des Cyberpunk-Genres, das insbesondere durch William Gibsons Neuromancer (1984) bekannt wurde. Gibson erfand in seinem Roman den Begriff «Cyberspace», den er wie Stephensons als virtuelle Parallelwelt konzipierte. Der erste Cyberspace erschien in seiner mystischen Aufladung jedoch als eine unerforschte und unkontrollierbare neue Welt, die von einer machtvollen künstlichen Intelligenz bewohnt wird. Stephenson ging in eine ganz andere Richtung. Sein Metaverse glich vielmehr einem von Menschen erschaffenen und kontrollierbaren digitalen Raum, der weitaus gefahrloser erkundbar sein sollte, und in dem die Menschen ihre Freizeit verbringen wie auch arbeiten.

Snow Crash (Illustration: Fischer Tor)

Ein neuer Markt für virtuelle Güter

Stephensons Metaverse wird vom Zentrum aus mit Gebäuden und Inhalten gefüllt. Wie auf dem Immobilienmarkt müssen hierfür erst Grundstücke gekauft und Bauten erstellt werden. Entsprechend wirkt das dicht besiedelte Zentrum der digitalen Landschaft wie eine grell leuchtende Stadt, deren Mittelpunkt mit ihren digitalen Leuchtreklamen und Hochhäusern einem modernen Boulevard gleicht. Wer genügend Geld investiert, kann sich hier – wie beispielsweise heute in den virtuellen Welten von Decentraland (einem auf der Ethereum-Blockchain basierenden Virtual-Reality-Spiel) – ein begehrtes Grundstück erwerben, das sowohl als Geschäftsniederlassung und Produktionsraum wie auch Werbezwecken dienen kann. Wie in der echten Welt generiert das virtuelle Haus dabei umso mehr Aufmerksamkeit, je spezieller es gebaut und je zentraler es gelegen ist. Zugleich gibt es eine Reihe öffentlicher Orte, auf denen sich die Metaverse-Bevölkerung mit ihren erwerbbaren Avataren trifft oder virtuellen Konzerten lauscht. Die Nutzenden werden zudem als aktive Userinnen und User in die virtuelle Welt eingebunden. Wer programmieren kann, kann sich anstellen lassen, selbst virtuelle Objekte erschaffen und verkaufen oder sich einen schöneren Avatar herstellen. Damit löst sich auch die Unterscheidung von Arbeit und Vergnügen langsam auf, und dies mit allen negativen Nebenwirkungen: Gearbeitet wird im Metaverse im virtuellen 24-Stunden-Betrieb, die Plattformbetreiber erhalten eine monopolitisierte Macht über das Angebot und wer nicht genügend Geld oder Programmierfähigkeiten mitbringt, muss sich mit den einfachen Angeboten begnügen.

Dank Meta ist Snow Crash heute eine der einflussreichsten Science-Fiction-Visionen. Doch in den 90er-Jahren gab es auch Alternativen dazu. John Gage empfahl seinen Mitarbeitenden bei Sun Microsystems beispielsweise David Brins Roman Earth (1990). Dieser malte zwar in Anlehnung an gängige New-Age-Vorstellungen ebenfalls ein dystopisches Bild einer Zukunft, die von Umweltproblemen bis hin zu optimierten Überwachungsmethoden wenig Wünschenswertes zu bieten hat. Zugleich erschien der Cyberspace in Brins Vision allerdings auch als Medium für eine ausgeweitete demokratische Vernetzung in Form eines globalen Kommunikations- und Speichermediums. Dies wäre eine Science-Fiction-Vision, der man sich heute ebenso stark annehmen könnte wie dem Metaverse.

 

Jonas Frick

Dr. Jonas Frick forscht an der Universität Zürich zu Fragen der kulturellen Imagination vernetzter Computer zwischen 1960 und 2000.

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