asut-Bulletin
Future of Communication
Ausgabe
01/2022
Unregulierter Wilden Westen oder virtueller öffentlicher Raum? Wir haben es in der Hand.

Interview mit Karin Frick

Das Metaverse, meint GDI-Forschungsleiterin Karin Frick, sollte man auf jeden Fall ernst nehmen. Denn der Schritt vom zweidimensionalen zum dreidimensionalen Internet wird unsere Wahrnehmung verändern.

asut: Ist das Metaverse, von dem man jetzt gerade überall hört und liest, nichts als ein Riesenhype? Oder wird da gerade etwas entwickelt, das wir ernst nehmen sollten?

Karin Frick: Im Moment ist es ein Hype und noch sehr stark anbietergetrieben, allen voran durch Facebook und Microsoft. Eine Killerapp, die auch die Nutzerinnen und Nutzer unwiderstehlich anziehen würde, fehlt im Moment aber noch. Die bereits vorhandenen Angebote steigern zwar sicher die Erlebnisqualität, aber mehr nicht. Es ist ein bisschen wie mit den neusten Automodellen: Die mögen komfortabler sein und über alle möglichen Assistenzsysteme verfügen. Aber mehr als von A nach B bringen, können auch sie uns nicht.

Also keine ernstzunehmende Fortsetzung des Internets?

Doch, ernst nehmen sollte man das Metaverse auf jeden Fall. Denn was wir hier erleben, ist die Entwicklung von einem zweidimensionalen zu einem dreidimensionalen digitalen Netzwerk. Das wird unsere Wahrnehmung verändern. Und damit auch, wie wir denken und entscheiden.

Was meinen Sie mit «Wahrnehmung verändern»?

Bisher interagieren wir mit einem Bildschirm. Wir können uns also bereits in virtuelle Welten vertiefen, aber gleichzeitig bleibt da zum Abgleich immer auch die reale Welt rund um uns und unseren Bildschirm – sie existiert unabhängig davon, ob wir sie wahrnehmen wollen oder nicht. Ins Metaverse hingegen werden wir eintauchen und uns darin wie in der realen Welt bewegen. Die Interaktion wird immersiver und impulsiver, physische und virtuelle Realität gehen ineinander über und ihre Grenzen werden fliessender.

Pandemie, Klimakrise, ein schlimmer Krieg im Osten – wie gross ist die Gefahr, dass wir uns aus einer problematischen Welt in eine digitale Wunscherfüllungswelt zurückziehen?

Sich in virtuelle Welten zurückzuziehen, ist heute schon möglich, auch wenn sie bisher nur zweidimensional sind. Im Metaverse werden wir sie noch intensiver erleben. Das eröffnet einerseits die Möglichkeit, Menschen – so wie wir es aus dem Film Matrix kennen – in einer schönen Spielwelt ruhigzustellen. Das Metaverse könnte aber auch zum «Flugsimulator für vieles» werden. Zu einem Ort, wo wir Dinge lebensnah ausprobieren und neue Kenntnisse erwerben können: vom Golf spielen über handwerkliche Fertigkeiten bis hin zu komplexen medizinischen Eingriffen. Oder zu einem Ort, wo Phobien wirksam therapiert werden. Mir beispielsweise würde es in einer realistischen virtuellen Umgebung vielleicht gelingen, meine Höhenangst zu überwinden. Solche Lernmöglichkeiten können sehr positiv sein, insbesondere, wenn der Zugang dazu möglichst allen offen stehen würde.

Danach sieht es zurzeit aber nicht wirklich aus, oder?

Im Moment scheint das Metaverse tendenziell tatsächlich eher als ein Riesentummelplatz und Disneyland für Werbung und Konsum konzipiert zu sein. Als ein privater Raum, für dessen Nutzung wir mit unseren Nutzerdaten bezahlen werden, genauso wie im Internet. Aber es wäre sicher überlegenswert, ob das Metaverse und seine vielfältigen Möglichkeiten nicht auch ein öffentlicher Raum sein könnten. Eine Art Grundinfrastruktur, die der Staat baut und allen zur Verfügung stellt, genauso wie Strassen oder Sportplätze. In einem öffentlichen Metaverse würden wir nicht mit unseren Daten bezahlen, und könnten uns, unter Einbehalt gewisser Regeln, frei bewegen.

Viele befürchten, dass ein kommerziell gesteuertes Metaverse mit einer neuen Generation von Empfehlungsalgorithmen, die Nutzer noch stärker in Filterblasen einschliesst, noch mehr Fake News in Umlauf bringt und die Meinungen noch stärker polarisiert.

In der sogenannten Dopaminökonomie ist alles darauf angelegt, dass wir dranbleiben, uns nicht langweilen, immer wieder Feedback geben und so gar nicht mehr davon loskommen. Dazu kommt, dass Gruppen lieber unter sich bleiben – das lässt sich bereits in der realen Welt beobachten. Das Internet verstärkt solche Mechanismen und das Metaverse wird es noch schwieriger machen, sich zu einigen, welche Wirklichkeit nun tatsächlich noch real ist. Die springende Frage ist deshalb, wer hinter dieser Welt steht, wer sie designt, programmiert und finanziert. Denn je nachdem können sich hier auch äusserst spannende und konstruktive Möglichkeiten eröffnen.

Zum Beispiel?

Avatare, mithilfe künstlicher Intelligenz optimierte virtuelle Kunstfiguren, können einerseits dazu dienen, möglichst viel über uns zu erfahren, um unser Verhalten danach nach Belieben zu beeinflussen oder zu manipulieren. Sie könnten es andererseits aber öffentlichen Figuren wie Politikern auch ermöglichen, mit mehr Leuten in Kontakt zu treten und ihnen ihre Anliegen nahe zu bringen. Ein weiteres Beispiel sind die Verhaltensänderungen, die simulierte alternative Welten auslösen können: Es ist durchaus denkbar, dass das hautnahe Erleben einer idealen virtuellen Parallelwelt viele dazu bringen wird, höhere Ansprüche an die eigene Wirklichkeit zu stellen und sich dafür einzusetzen, dass die reale Welt dem im Metaverse erlebten Idealzustand näher kommt.

Worauf tippen Sie? Was setzt sich durch?

Meine Vermutung ist, dass das Metaverse zuerst primär als Marktplatz funktionieren wird, als ein eigentlich unbegrenzter virtueller Raum, in dem mit allen Mitteln um das knappste aller Güter, um unsere Aufmerksamkeit, gebuhlt wird. Sieht man sich das Mall-Sterben in der realen Welt an, kann man sich allerdings fragen, weshalb solchen virtuellen Malls mehr Erfolg beschieden sein sollte. Und genau deshalb lohnt es sich durchaus, die Frage aufzuwerfen, ob die Öffentlichkeit diese neuen virtuellen Welten in der Open-Data-Logik nicht mitgestalten und vom unregulierten Wilden Westen zu einem virtuellen öffentlichen Raum ausbauen könnte. Denn noch sind wir erst am Anfang der Entwicklung und haben Gestaltungsraum. Wer neuen Technologien gegenüber offen ist, von ihnen aber auch konstruktive Anwendungen erwartet und ihre Effekte auf die Gesellschaft hinterfragt, sollte solche Fragen jetzt stellen.

 

Karin Frick

Die Ökonomin Karin Frick ist Leiterin Research und Mitglied der Geschäftsleitung des Gottlieb Duttweiler Instituts in Rüschlikon.

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