asut-Bulletin
Shaping The Digital Future - Swiss Telecommunication Summit / 42. asut-Seminar
Ausgabe
04/2016
Hans Vestberg: "Bisher war der Wandel langsam, extrem langsam!"

 

Für Hans Vestberg, President und CEO von Ericsson, wird eine vernetzte Gesellschaft eine positive Grundlage für kommende Generationen schaffen: durch mehr Verbindungen, mehr Kommunikation, zusätzliche Funktionen und neue Verhaltensweisen.

asut: Beginnen wir mit einem kurzen Rückblick: Was waren Ihrer Meinung nach die wichtigsten technologiebedingten Veränderungen der letzten Jahrzehnte?

Hans Vestberg: Eine der grössten Veränderungen hat mit Mobilität zu tun. Sehr oft vergessen wir, dass noch nie zuvor eine andere Technologie weltweit so verbreitet gewesen ist wie die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) – und das ist so, weil wir uns auf globale Standards geeinigt haben: Die Breitband-Infrastruktur ist überall gleich. Sie erlaubt es uns, in jedem Land der Welt mit dem gleichen Handy zu telefonieren. Das ist einmalig für unsere Branche. Und es ist der Grund, warum Milliarden von Menschen heute Mobiltelefone besitzen können: Aufgrund des Skaleneffekts sinken die Preise, und Kommunikation wird für eine enorm grosse Zahl von Menschen erschwinglich. Die zweite grosse Veränderung ist die Innovation, die mit dem Aufkommen von Smartphones einherging. Sie haben die Art und Weise, wie wir uns mit dem Netz verbinden und wozu wir das Netz nutzen, vollständig verändert. Ich glaube, dass diese beiden Entwicklungen grundlegend sind und dass sich alles andere daraus ergibt: vollkommen neue Plattformen und ganze Branchen, die aufgrund des mobilen Breitbands und der Cloud verändert werden. Und all das wird sich natürlich auch stark auf unsere Gesellschaften und darauf auswirken, wie wir leben und Handel treiben.

 

Warum ist hier gelungen, worauf sich beispielsweise die Bahn niemals hat einigen können: globale Standards zu schaffen?

Die Triebkraft bildeten ein paar führende Unternehmen. Sie waren zwar Konkurrenten, realisierten aber frühzeitig, dass es ohne globale Standards nicht möglich wäre, einer grossen Zahl von Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich diese Technologie zu leisten. Gemeinsam trieben sie deswegen die Interoperabilität und die Mobilfunknetze der nächsten Generation voran.

 

Sie haben über die Rolle der Branche bei der Einführung der Mobilfunktechnologie gesprochen. Welche Rolle fällt der Politik zu?

Wir kommen nun in die zweite Phase der Einführung. Ich denke, die Zeit ist jetzt reif, dass die Regierungen auf breiter Ebene ICT-Technologien einsetzen und die digitale Integration vorantreiben sollten. Falls sie dies nicht tun, werden wir keinen nachhaltigen Planeten schaffen können. Ich habe in den letzten fünf Jahren viel Zeit bei den Vereinten Nationen verbracht und versucht, folgenden Zusammenhang zu erklären: Wenn wir die Armut bekämpfen und überall auf der Welt eine medizinische Grundversorgung einrichten und das Bildungsniveau anheben wollen, wenn wir die CO2-Emissionen senken und unsere wachsenden Städte klüger und effizienter verwalten wollen – dann müssen wir das mobile Breitband und die Cloud nutzen. Es wird nicht möglich sein, all dies auf irgendeinem anderen Weg zu erreichen.

 

Was macht Sie so sicher, dass allgegenwärtige Konnektivität die Welt zum Besseren verändern würde?

Sie würde die Kosten senken und sicherstellen, dass sich Menschen überall auf der Welt, ungeachtet ihres Hintergrunds oder Sozialstatus, ein besseres Leben leisten könnten: bessere Ausbildung, mehr Demokratie, menschenwürdige Arbeit, die Möglichkeit, mit jedem und jeder auf der Welt in den Wettbewerb zu treten, und eine Plattform für innovative Lösungen und neue Geschäftsmodelle. In einer effektiv vernetzten Gesellschaft werden bessere Verbindungen, mehr Kommunikation, zusätzliche Funktionen sowie neue Verhaltensweisen eine positive Basis für kommende Generationen schaffen. Natürlich gibt es auch Herausforderungen: Wir werden über Datenschutzfragen nachdenken müssen, über die Sicherheit und die Stabilität von Daten. Und weil für Daten keine Landesgrenzen existieren, wird diese Revolution – wie alle technologischen Revolutionen davor – ein ganzes Gerüst von neuen Gesetzen und Regelungen benötigen.

 

Wer wird diese Leitplanken schaffen müssen?

Nicht ein Land, nicht ein Unternehmen, nicht eine Zivilgesellschaft allein – niemand kann dies allein bewältigen. Was wir benötigen, ist ein Dialog zwischen öffentlicher Hand und privater Wirtschaft, um ein neues Verständnis für die Chancen und die Herausforderungen der Zukunft zu entwickeln. Ich glaube, immer mehr Regierungen werden sich dessen bewusst: Vor ein paar Jahren waren es nur einige wenige, heute verfügen 140 Länder über eine offizielle «digitale Agenda». Die grosse Herausforderung für sie bleibt, die notwendige digitale Kompetenz zu besitzen, um diese Fragen anzugehen.

 

Wie sieht es hinsichtlich der negativen Auswirkungen aus: Kann es zu viel Konnektivität geben, quasi zu viel des Guten?

Manchmal mag es sich ja nicht so anfühlen, tatsächlich befinden wir uns aber erst am absoluten Anfang dieser digitalen Revolution. Es ist gerade mal eine Generation, die bisher mit dem Internet aufgewachsen ist. Deshalb ist klar, dass wir in 15 Jahren das Internet mit anderen Augen anschauen werden. Heute leben wir in einer Welt, in der man eine Opt-out-Möglichkeit benötigt, wenn man seine Daten nicht herausgeben will. Doch das Internet wird von solch kritischer Bedeutung sein, dass die nächste Generation dies nicht mehr akzeptieren wird. Es wird ein System geben müssen, in dem der Entscheid jeder und jedem freisteht, sprich ein System, in dem man sich nur dann zur Nutzung von Dienstleistungen, zum Opting-in also, entscheidet, wenn man das auch als nützlich erachtet. Sie könnten zum Beispiel damit einverstanden sein, Ihre Daten für eine bessere Verkehrsplanung in Ihrer Stadt herauszugeben oder um Ihr soziales Netzwerk zu verbessern. Wenn Sie hingegen der Meinung sind, dass eine Website mit Ihren Daten nur Geld machen will, dann würden Sie nicht einwilligen. Heute ist all dies noch sehr rudimentär.

 

Und Sie stehen mitten drin: Finden Sie es manchmal erschreckend, was diese technologische Revolution entfesselt?

In meinen sieben Jahren Tätigkeit als CEO hat sich unsere Arbeitsweise grundlegend verändert. Das Tempo der digitalen Transformation ist beispiellos. Uns ist klar, dass sich die Dinge in Zukunft noch schneller entwickeln werden – im Vergleich ging der Wandel bis jetzt extrem langsam vonstatten. Es dauerte 25 Jahre, um 2 Milliarden Menschen mit dem Internet zu verbinden. Heute gehen wir davon aus, dass es in den nächsten zehn Jahren ungefähr 50 Milliarden verbundene Geräte geben wird. Im Jahr 2021 werden zweieinhalbmal so viele Menschen auf der Erde Zugang zum Internet haben wie heute. Es wird
8 Milliarden Abonnements für mobiles Breitband geben. Und die weltweite mobile Abdeckung, wird – 300 Millionen Menschen ausgenommen –  fast vollständig sein. Und natürlich ist Ericsson mitten drin: Wir arbeiten mit allen Netzbetreibern auf der Welt zusammen, mit allen führenden Anbietern und Branchen. Klar ist das alles sehr beeindruckend. Im Grunde genommen glaube ich aber, dass wir Grossartiges für unseren Planeten tun. Gleichzeitig ist uns auch bewusst, dass wir eine grosse Verantwortung tragen.

 

Inwiefern hat die digitale Transformation einen Einfluss auf das Geschäftsmodell von Ericsson?

In den letzten beiden Jahren haben 34 000 Mitarbeitende das Unternehmen verlassen und 32 000 neue wurden eingestellt. Das ist das – manchmal schmerzhafte – Tempo der Veränderung, das es braucht, um in einem globalen Umfeld konkurrenzfähig zu bleiben, um im richtigen Markt mit den richtigen Kompetenzen präsent zu sein. In zehn Jahren haben wir uns umsatzmässig stark verändert: von 75 Prozent, die wir anfangs mit Hardware erwirtschafteten, zu zwei Dritteln, die wir heute mit Software und Dienstleistungen generieren. Und genauso wie sie unsere Branche verändert hat, wird sich die vernetzte Gesellschaft auch auf alle anderen auswirken: Alles, was durch Verbindung gewinnt, wird in Zukunft verbunden sein.

 

In vielen Branchen führte die Digitalisierung zu Umwälzungen, Ericsson dagegen geht es glänzend. Was haben Sie besser gemacht als andere?

Mit ein Grund ist sicherlich, dass wir bei der Forschung und Entwicklung niemals Abstriche gemacht haben, nicht einmal in den härtesten Zeiten.

 

Was ist der nächste grosse Technologiesprung, der auf uns zukommt?

Ziemlich sicher 5G. Und einmal mehr wird dies ein Wegbereiter für eine riesige Anzahl neuer Dienstleistungen sein und unsere Branchen vollkommen umwälzen. 5G, um es ganz einfach zu formulieren, bedeutet nichts anderes, als dass wir einzelne Netzabschnitte haben werden, die die Anforderungen spezifischer Anwendungsfälle und Einsatzzwecke unterstützen: hohe Geschwindigkeit oder geringe Latenzzeit, bessere Übertragungsraten, längere Batterielaufzeit. Gelten wird dies für alles, ob Sensoren, Smart Vehicles, die dynamische Verteilung von Ressourcen oder die kritische Steuerung von Remote-Geräten. Virtual Reality und künstliche Intelligenz werden ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Die ersten 5G-Netze werden spätestens 2020 kommerzialisiert werden. Und auch hier wird Ericsson eine zentraler Player sein, auch in der Schweiz: Hier spannen wir nun nämlich mit Swisscom zusammen und lancieren eine Testumgebung für 5G-Anwendungen. 

Interview: Christine D'Anna-Huber

 

Hans Vestberg

Einst träumte Hans Vestberg, der es bis in die schwedische Nationalliga geschafft hatte, davon, Handballprofi zu werden. Es hat nicht sollen sein, doch Vestberg ist auch so persönlich nicht gerade erfolglos geblieben. Heute ist er als President und CEO der Ericsson-Gruppe an der Spitze einer der führenden Anbieter von Fernmeldetechnik und -dienstleistungen weltweit.

1991 machte Vestberg mit Auszeichnung sein Diplom in Betriebs- und Volkswirtschaft an der schwedischen Universität Uppsala und begann seine berufliche Laufbahn in der Reisekostenabteilung von Ericsson Cables in seiner Heimatstadt Hudiksvall. Seit diesen Anfängen war er in fast allen Bereichen des Unternehmens, das er heute leitet, tätig und sammelte zudem viel internationale Erfahrung in den zahlreichen leitenden Positionen, die er bei Ericsson in China, Brasilien, Mexiko und den USA bekleidete.

Unter seiner Führung ist Ericsson zur treibenden Kraft geworden, welche die Entwicklung zur «vernetzten Gesellschaft» fördert. Er ist auch ein führender Befürworter globaler nachhaltiger Entwicklungsziele (SDGs) und Gründungsmitglied der Broadband Commission for Digital Development. Im Januar 2016 wurde Vestberg vom Welternährungsprogramm der UNO (WEP) für die Pionierarbeit, die Ericsson bei der Bereitstellung von Telekommunikationslösungen zur Unterstützung humanitärer Anliegen geleistet hat, mit dem Hunger Hero Award ausgezeichnet.

 

Von der Telegrafenreparaturwerkstatt zum globalen Netzwerkausrüster

1876 eröffnete der schwedische Ingenieur Lars Magnus Ericsson eine Telegrafenreparaturwerkstatt im Zentrum von Stockholm. Seitdem hat sich Ericsson kräftig weiterentwickelt und wurde von einem populären Telefonhersteller zu einem Giganten der Drahtlostechnologie. Mit 116'000 Mitarbeitenden, Geschäftsaktivitäten in 180 Ländern, der Verwaltung von 2,5 Mrd. IT-Kunden und 1,2 Mrd. Mobilfunkteilnehmern, einem Gesamtumsatz von 30 Mrd. US-Dollar sowie jährlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben in der Höhe von 5 Mrd. US-Dollar ist das Unternehmen heute einer der führenden Anbieter von Netztechnologie sowie IT- und Mediensystemen und -dienstleistungen weltweit. Mehr als 40 Prozent des weltweiten Mobilfunkverkehrs wird über Ericsson-Netze abgewickelt, und das Unternehmen zählt zu den 10 grössten IT-Dienstleistern.

Ericsson mobility report 2016

 

Hans Vestberg: Digital Transformation Impacting People, Business and Society / asut-Seminar 2016

 

 

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