asut-Bulletin
Fortschritt und Risiko
Ausgabe
02/2020
Die Zukunft im Rückblick

Technologiesprünge, Technikwenden, neue disruptive Technologien, die zum Treiber von grossen gesellschaftlichen Veränderungen werden, sind oft als befreiende Momente des Aufbruchs erlebt worden. Aber genau so oft sind sie belächelt, gefürchtet oder verteufelt worden. Ein paar Beispiele.

Der Buchdruck

Venedig, im Jahr 1486: Eine Generation nach Gutenbergs Tod haben sich, in einem zentralen Viertel der reichsten Handelsmetropole der damaligen Welt, Dutzende von Buchdruckereien angesiedelt. Die neumodische Produktion von billigen Massentexten sieht die Obrigkeit gar nicht gern: Muss es nicht zur Revolution führen, wenn jeder Habenichts für ein paar Groschen ketzerische Pamphlets kaufen kann? Ausserdem wird die Menschheit ganz sicher verdummen, wenn sie, statt die Klassiker zu studieren, sich in so viele Bücher mit so viel oberflächlichem Wissen vertiefen kann.

Die Mechanisierung der Webstühle

Verzweifelt, weil sie sich durch die aufkommende Maschinentechnik von Arbeitslosigkeit und Armut bedroht sahen, schlugen englische Textilarbeiter 1811 und 1812 mechansierte Webstühle und Spinnmaschinen kurz und klein. Zu solchen gewalttätigen Handwerkerrevolten und Maschinenstürmen kam es am Anfang der Industrialisierung auch in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Es war ein Aufbegehren gegen die Verschlechterung der sozialen Bedingungen und für die eigene Standesehre: Auf einmal sollte die langgepflegte Tradition des Handwerks weniger wert sein als ein von Maschinen hergestelltes Massenprodukt.

Die Atlantikverkabelung

Der Plan ist ambitioniert: 1854 beschliesst der amerikanische Unternehmer Cyrus W. Field ein Telegrafenkabel über 1800 Seemeilen hinweg quer durch den Nordatlantik zu verlegen. Er will damit die Kommunikation, den Handel und den politischen Austausch zwischen Europa und Nordamerika beschleunigen. Nicht alle Zeitgenossen teilen anfangs seinen Technik- und Fortschrittsglauben. Das Vorhaben sei «ähnlich verrückt, wie eine Leiter zum Mond errichten zu wollen», wird gespottet. Doch als das gigantische Unterfangen gelingt, ist der Jubel gross. In die Geschichtsbücher geht die Atlantikverkabelung als «das Kabel, das die Welt veränderte» ein.

Die Eisenbahn

Die Eisenbahn ist ein Teufelsding», predigte 1835 der Pfarrer von Schwabach von der Kanzel. Gerade hatte da die erste deutsche Bahnverbindung den Betrieb aufgenommen. Die höllische Erfindung, so befürchteten anfangs viele, könnte mit ihren qualmenden Dampfwolken Menschen und grasendes Vieh vergiften. Und wer sich allen Warnungen zum Trotz in einen Zug setzte, dem wurden von Lungenentzündung durch den Fahrtwind bis zur Gehirnverwirrung durch die unmenschliche Schnelligkeit düsterste Gesundheitsfolgen prophezeit.

Die Elektrifizierung der Städte

Die elektrische «Revolution», die die Nacht zum Tag machten, tickende Telegrafen und schrillende Telefone, dazu das tosende Verkehrschaos in den chaotisch wachsenden Städten, die ständige Reizüberflutung, die aufkommende Zeit-ist-Geld-Mentalität des Kapitalismus, die Hetze und der ständige «Kampf ums Dasein», ja das «ganze krankmachende Hetzen und Jagen der Moderne», brachte viele Menschen um 1900 an den Rand des Nervenzusammenbruchs: Die «Neurasthenie», die «Verarmung der Nervenkraft» wurde zur Modekrankheit, an der vor allem Mitglieder der höheren Schichten litten.

Das Automobil

Die neumodischen motorisierten Ungetüme, die mit ihrem «tollen Tempo, Lärm und Gestank» Angst und Schrecken verbreiteten, alle anderen auf der Strasse gefährdeten, tolle Unfälle mit Kutschen bauten, Pferde kopfscheu und die Euter der verängstigten Milchkühe staubtrocken machten, wurden in Graubünden am 17. August 1900 auf sämtlichen Strassen des Kantons verboten. Die Gemeinde Zizers ging noch weiter und untersagte auch gleich noch das Velofahren. Aufgehoben wurde das Autoverbot auf Kantonsebene erst 25 Jahre später in einer Volksabstimmung. Allerdings vorerst nur für Personenwagen und Motorräder und letztere nur, wenn sie in Bündner Hand waren.

Der Stadtverkehr

Am 4. Juni 1928 erreicht der Berliner Kutscher Gustav Hartmann mit seiner Droschke und seinem Wallach Grasmus nach einem Monat und 1000 Kilometern Fahrt die französische Hauptstadt Paris. Er wird triumphal empfangen, scheitert aber trotzdem: Der «eiserne Gustav» wollte gegen den zunehmenden Autoverkehr in Berlin  protestieren und gegen den dadurch verursachten Fahrgästeschwund, der seinen Job bedohte. Damit wurde er für viele zum Symbol für das Beharrungsvermögen gegen eine neue, laute und vielen viel zu schnelle Zeit. Sie kam trotzdem. Hartmann's Denkmal steht heute mitten im brausenden Berliner Stadtverkehr

Bilder: Wikimedia und ACS (Das Automobil).

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