asut-Bulletin
Mobilität: Unterwegs in die Zukunft
Ausgabe
04/2019
Eine starke Prise Digitalisierung gegen den Verkehrsinfarkt

Von Christine D'Anna-Huber

Der Wohlstand unserer Gesellschaft baut nicht zuletzt auf der Mobilität von Personen und Waren auf. Oder anders gesagt: die Mobilität ist der Motor unserer Welt. Aber dieser Motor stottert: Insbesondre in urbanen Räumen gerät der Verkehr mehr und mehr ins Stocken. Zu gewissen Zeiten sind schlicht zu viele Personenwagen und Lastautos auf der Strasse, zuviele Passagiere in Zügen und Bussen unterwegs. Das beeinträchtigt die Wohn-, Lebens- und Arbeitsqualtiät, schadet der Wirtschaft und bedroht auch unsere Gesundheit. Doch immer neue Strassen bauen, neue Schienen zu verlegen ist auf die Länge keine Lösung mehr: zu langsam, zu teuer, zu wenig Platz. Und die Mobilität, einst sakrosankter Inbegriff von Freiheit und Unabhängigkeit, wird in einer viel komplexeren Welt und ihren immer dichter besiedelten Ballungsräumen zum Bremsklotz, der alle behindert.

 

Quelle: Edag White Paper «City Bots»

 

Umdenken tut not. Dabei helfen kann die Digitalisierung, die völlig neue Mobilitätskonzepte ermöglicht. Zum Beispiel den Übergang von einem angebotsorientierten Ansatz («Ich biete einen Zug an, der alle X Minuten von A nach B fährt) zu einem nachfrageorientierten: «Sie wohnen in B? Sagen Sie uns, wann sie nach A fahren möchten. Wir holen Sie ab.»). Dank der Plattformtechnologie wird die Mobilität zur Dienstleistung. Und dank der Vernetzung wird das gesamte Mobilitätssystem zu einem steuer- und abstimmbaren Ganzen: «Über die Vernetzung der einzelnen Verkehrsträger untereinander und mit ihrer Umgebung kann dann der Verkehr beispielsweise mit Schwarmintelligenz und KI (künstlicher Intelligenz) in der Smart City so gesteuert werden, dass er besser fliesst Staus und verkehrsbedingte Emissionen reduziert sowie Unfälle vermieden werden», liest man im Edag-White-Paper.

Der Entwicklungsdienstleister EDAG träumt von einer Stadt, in der neben Fussgängern und Velofahrern nur noch  «City-Bots» unterwegs sind: vernetzte Roboterfahrzeuge für alle möglichen Zwecke, Transport- und Arbeitssituationen, vom Gruppentaxi über Reinigungs- und Grünflächenpflegevehikel, bis zum geräumigen Einkaufsshuttle, Lieferwagen, Notrufkapseln oder komfortablen VIP-Loungefahrzeugen. Alle rund um die Uhr autonom und – dank Brennstoffzellen – emissionsfrei unterwegs. Bis solche Fahrzeuge sauber, smart und geräuschlos durch unsere Strassen zischen, wird es allerdings noch eine Weile dauern.

Es gibt andere Ansätze: Free-floating-Fahrräder, die man brauchen und irgendwo wieder stehen lassen kann. Elektroroller, fahrerlose Autos, Drohnentaxis, selbstfahrende Züge, Taxis, Mietautos, batteriebetriebene Busse oder Car-Sharing-Flotten. Doch womit die Menschen in Zukunft unterwegs sein werden, wird wohl weniger wichtig sein als das Wie: Prägen wird die intelligente Mobilität der Zukunft, wie alle diese Verkehrsmittel zusammenspielen. Und auch hier kommt die Digitalisierung wieder ins Spiel. Sie wird es ermöglichen, den gesamten Verkehr so zu steuern, dass er wieder flüssiger läuft und alle vorhandenen Verkehrsmittel und -ressourcen optimal eingesetzt und genutzt werden.

Die Stadt Zürich baut zurzeit ein solches intelligentes und vernetztes System auf und verspricht sich eine sicherere, umweltfreundlichere und nachhaltigere Mobilität davon. Damit das Zusammenspiel zwischen Fahrzeugen und Verkehrsinfrastruktur funktioniert, muss das System unzählige von verschiedensten Sensoren gesammelte Daten verarbeiten, auswerten und in Echtzeit an die Verkehrsteilnehmer zurückspielen. Doch Daten allein genügen nicht: Immer stärker automatisierte und bald vielleicht sogar vollständig autonome Fahrzeuge müssen ihre Umgebung selbständig einschätzen und auf verschiedenste Situationen blitzschnell reagieren können ­­– also aus den Daten, die ihnen zur Verfügung stehen, auch lernen können. Hier kommt die KI ins Spiel. Sie gibt Fahrzeugen und der Verkehrsinfrastruktur die Fähigkeit mitzudenken und mitzuhelfen, Verkehrsspitzen zu brechen und Unfälle zu vermeiden. Ein leistungsfähiges und möglichs flachendeckendes 5G-Netz wird dabei entscheidend helfen.

Unter dem Strich wären dann bei gleicher oder höherer Kapazität voraussichtlich sogar weniger Fahrzeuge notwendig als heute – zurzeit nimmt ihre Zahl laufend zu. In einer 2018 veröffentlichten Studie schätzt das deutsche Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, dass sich durch intelligente Vernetzung und Steuerung zusammen mit selbstfahrenden Fahrzeugen in Grossstädten bis zu 90 Prozent der Fahrzeuge einsparen liessen. Eine aktuelle Studie der ETH Zürich bremst solche Hoffnungen allerdings: Weniger Verkehr gäbe es nur dann, wenn Privatpersonen keine automatisierten Fahrzeuge besitzen dürften und diese nur für Rideshare-Angebote zur Verfügung stehen würden. Denn sonst würde die Flexibilität und Bequemlichkeit der autonomen Roboterautos möglicherweise zu noch viel mehr Verkehr führen.

Zauberrezepte gibt es keine und die Technologie allein wird unsere Mobilitätsprobleme nicht lösen. Aber sie kann durch neue Angebote Verhaltensweisen und Fahrgewohnheiten, Normen und Werte ändern. Solche Ansätze verfolgen, ob im Privat- oder Frachtverkehr, im ÖV oder beim Unterhalt von Infrastrukturen, zurzeit  viele Akteure. In diesem asut-Bulletin kommen einige von ihnen zu Wort.

Auch am asut-Kolloquium, wie jedes Jahr gemeinsam mit dem Bundesamt für Strassen (Astra), der Mobilitätsplattform its-ch und dem Touring Club Schweiz (TCS) organisiert, werden sich nahmhafte Experten unter dem Motto «Enable Future Mobility – Erwartungen und Realität» mit dem Thema auseinandersetzen. Die Fachtagung findet am 13. November 2019, von 9:00 bis 16:15 Uhr im Berner Kursaal statt. Anmeldeschluss ist der 1. November.

 

 

Christine D'Anna-Huber

Die Publizistin Christine D'Anna-Huber (cdh) ist Redaktionsleiterin des asut-Bulletins und Inhaberin des Textbüros cdh, Wissenschaft im Text.

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