asut-Bulletin
It's not a man's world!
Ausgabe
03/2019
Vorwort der Redaktion

Die Tech-Industrie gilt als Männerdomäne, auch heute noch. Das lässt sich mit Zahlen belegen. Doch das war nicht immer so – und kann sich deshalb auch wieder ändern.

Fangen wir mit den Zahlen an: Im Jahr 2017 erfasste die Schweizerische Arbeitskräfte­erhebung (SAKE) rund 200 000 ICT-Fachkräfte in der Schweiz mit einem Frauenanteil von nur etwa 15 Prozent. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach ICT-Fachkräften seit Jahren. Gerade die Schweiz als Hochtechnologiestandort ist auf solche Fachkräfte angewiesen, wie die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) im «MINT-Nachwuchsbarometer Schweiz» feststellt (MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). Doch beim Nachwuchs gibt es Engpässe. Gemäss ICT-Fachkräfteprognose 2026 wird selbst bei einer Verdoppelung oder Verdreifachung der Lehrstellen der benötigte Bedarf nicht gedeckt werden können. Würden mehr Mädchen sich für eine Berufskarriere im technischen Bereich entscheiden, so würde das den absehbaren Fachkräftemangel zwar nicht beseitigen, aber erheblich lindern. Doch die Mädchen fehlen: Laut einem Bericht des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI gingen 2017 von rund 19 500 Lehrstellen in den Technischen Berufen nur rund 1000 Lehrstellen an Mädchen. Und an den Hochschulen gibt es, weil die Anzahl der Studierenden allgemein stetig zunimmt, zwar mehr Informatikstudentinnen denn je, aber im Geschlechtervergleich doch immer noch wenige: knapp ein Drittel der Studentinnen im Bereich Technik und IT bei den universitären Hochschulen, 10 Prozent bei den Fachhochschulen.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Dieses Bulletin geht einigen von ihnen nach.

Die Ausrede mit der Eignung

Sind Frauen vielleicht für Natur- und insbesondere Computerwissenschaften ganz einfach nicht gemacht? Das sei eine dumme Frage, und die Antwort laute klipp und klar nein, sagt EPFL-Präsident Martin Vetterli in einem Video.

Und er hat recht damit: Die Forschung jedenfalls zeigt, dass es keine kognitiven Gründe dafür gibt, warum sich junge Frauen weniger oft für MINT entscheiden. Sie findet andere Erklärungen für den Unterschied: Allen voran steht die Erziehung in Elternhaus und Schule.

Die Krux mit der Erwartungshaltung

Es gibt einen dummen alten Witz, der in etwa so geht: «Es gibt etwa 1000 verschiedene Berufe, aber für Frauen sind es etwas weniger. Also, was möchtest du werden: Verkäuferin oder Coiffeuse?» Was wird einer Frau in unserer Gesellschaft zugetraut, welche Rollen werden ihr zugeschrieben? Kulturelle Stereotype halten sich zäh und junge Frauen brauchen eine gewaltige Portion Selbstvertrauen, um sie zu durchbrechen und sich solchen Erwartungshaltungen zu entziehen. Helfen könnten hier weibliche Rollenmodelle aus Technik und Informatik, die Mädchen aufzeigen, dass es auch andere Wege und Möglichkeiten der Berufswahl gibt – darauf setzen viele MINT-Förderprogramme. Was von diesen Förderprogrammen zu halten ist – allein in der Schweiz gibt es über 700 davon im ausserschulischen Bereich, lesen Sie im Beitrag von Alain Gut.

Auch ein Blick zurück ist aufschlussreich: Zu Beginn der Computerisierung galt Programmieren als unmännlich und datenbezogene Berufe waren typische Frauenberufe. Zahlreiche Frauen – angefangen bei Ada Lovelace, die in den 1940er-Jahren das erste Computerprogramm schrieb, über die MIT-Informatikerin Margaret Hamilton, deren Team die Software schrieb mithilfe derer die NASA 1969 die erste Mondlandung reüssierte –  prägten, meist hinter den Kulissen, die Entwicklung der modernen Informatik massgeblich mit (einen informationsreichen und spannend zu lesenden Überblick gibt Broad Band: The Untold Story of the Women Who Made the Internet von Claire L. Evans.

Inzwischen können kleine Mädchen mit der Legofigur von Margaret Hamilton spielen und von ihrer eigenen IT-Karriere träumen. Und den «Rocket Girls», wie die diskreten «Computer in Röcken» auch genannt wurden, die in der Raumfahrt in der Vorcomputerära von Hand oder mit rudimentäre elektromechanischen Rechenmaschinen Seite um Seite komplizierte Flugbahnen berechneten, hat Hollywood einen Film mit Starbesetzung gewidmet.

 

Margaret Hamilton neben der ausgedruckten der Apollo-Flugsoftware (Bild: Draper Laboratory / Wikimedia)

 

Die Sache mit dem Image

Der ICT-Branche haftet vielmals noch ein Image an, das Frauen nicht unbedingt anzieht: Welche junge Frau möchte schon den ganzen Tag mit verschrobenen Nerds zu tun haben oder sich  den hierarchischen Regeln und dem Umgangston von verschworenen und selbstverliebten «Boy’s clubs» unterwerfen, wie sie die US-Journalistin Emily Chang in  «Brotopia – Breaking up the Boys' Club of Silicon Valley» beschreibt.

Unternehmen, denen es mit der Diversität tatsächlich ernst ist, müssen deshalb aktiv daran arbeiten, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das auch für Frauen attraktiv ist. Dazu gehören nicht nur flexible Arbeitszeiten und Kinderbetreuung, sondern auch, dass sich Frauen nicht automatisch in einer Teilzeitstelle auf irgendeinem Abstellgleis wiederfinden, sondern ihnen anspruchsvolle und karriererelevante Aufgaben anvertraut werden.

Nicht nur nice to have

Ketzerische Geister könnten sagen: Na und? Dann gibt es halt weniger Frauen in der ICT-Branche. Doch das Geschlechterungleichgewicht ist nicht nur des Fachkräftemangels wegen problematisch. Es ist für eine Gesellschaft, die so  stark von digitalen Technologien durchdrungen ist wie die unsrige, auf die Länge nicht zukunftsweisend, wenn zentrale Schlüsseltechnologien fast ausschliesslich von männerdominierten und kaum diversifizierten Teams konzipiert werden. Innovative neue Produkteentwicklungen sind in Teams, die auf die Arbeitskraft und die Kreativität der Frauen weitgehend verzichten, weniger wahrscheinlich, wie verschiedene Studien zeigen. Der jährliche Bericht des Weltwirtschaftsforums zum weltweiten Stand der Gleichberechtigung konstatierte 2018, dass Mangel an weiblicher Perspektive in der Entwicklung künstlicher Intelligenz und anderer hochinnovativer Technologien dazu führen könne, dass Ungleichheiten und Diskriminierung in den Algorithmen verfestigt würden. Es sei deshalb zu befürchten, dass neue KI-Systeme nicht den Bedürfnissen der Gesellschaft im Allgemeinen dienten. Diese besteht, man muss es manchmal in Erinnerung rufen, gut hälftig aus Männern und Frauen. Mehr Frauen in der ICT sind deshalb eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit, wie Edith Graf-Litscher in unserem Editorial argumentiert.

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