asut-Bulletin
Internet of Things
Ausgabe
01/2019
Eine gewisse Ernüchterung nach den Pionierjahren

Dank The Things Network können beliebige Anwender günstig ihre eigene IoT-Infrastruktur aufbauen und betreiben. In kurzer Zeit sind in der Schweiz mehrere regionale Hotspots entstanden, doch die Suche nach sinnvollen Anwendungen hat gerade erst begonnen. Ein Rückblick und ein Ausblick.

Internet of Things oder schlicht IoT ist ein Begriff mit geradezu magischem Klang. Die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen physischen und virtuellen Gegenständen und Geräten beflügelt seit einigen Jahren die Fantasie vieler Technikbegeisterter und der ICT-Branche insgesamt. Mit dem in den Niederlanden initiierten The Things Network (TTN) entstand ab 2015 ein offenes Netzwerk auf der Basis des Protokolls LoRaWAN (Long Range Wide Area Network), das allen Interessierten einen lizenzfreien Zugang zum Internet der Dinge ermöglicht. Auch in der Schweiz begeisterten sich Tüftler, Bastler und Bildungsinstitute für die neue Technologie. In nicht einmal drei Jahren nahmen mehr als 400 TTN-Antennen (Gateways) mit einer Reichweite von bis zu 5 oder mehr Kilometern den Betrieb auf. Sie gewährleisten heute an einigen Hotspots wie Zürich und Bern eine sehr gute Abdeckung und bieten Privaten, Unternehmen und weiteren Interessierten die Chance, in die Welt des IoT einzutauchen.

Wichtige Impulse der Berner Fachhochschule

Ein Treiber der rasanten Entwicklung in der Schweiz war die Berner Fachhochschule (BFH), die 2016 an ihren Standorten Bern, Biel und Burgdorf die erforderlichen Gateways für eine verlässliche regionale Funkversorgung installierte. Weitere Mitglieder haben sich der Berner Community angeschlossen, die heute über 90 Antennen betreibt – darunter jene auf dem Weissenstein, die mit einem Funkkontakt über gut 200 Kilometer einen Weltrekord aufgestellt hat. Erfreulicherweise sind auch Unternehmen dem Aufruf gefolgt, die Gelegenheit zum Einstieg in das IoT zu ergreifen. So entstanden in der Zusammenarbeit der BFH mit der Wirtschaft einige Projekte, mit denen praktische Anwendungen getestet wurden. Sowohl die BFH wie auch die Unternehmen profitierten, indem sie Erfahrungen mit der neuen Technologie sammeln konnten.

 

BFH LoRaWAN Gateways auf dem Weissenstein (Foto: BFH)

 

Schweizer Community stärkt ihre Unabhängigkeit

Dabei hatten die Unternehmen wegen der Datensicherheit anfänglich Bedenken. Der zentrale Server von The Things Network, mit dem alle Gateways des offenen Netzwerks verbunden sind, befindet sich in Amsterdam. Die Daten von Schweizer Anwendern machen also einen Umweg über das Ausland und werden von einem Betreiber verwaltet, dessen nicht-kommerzielles Geschäftsmodell auf Freiwilligkeit beruht. Da stellte sich manch einer die Frage, ob er für sein langfristig angelegtes Geschäftsmodell auf TTN setzen soll. Die Schweizer TTN-Community löste das Problem, indem sie mit Switch einen Partner ins Boot holte, der als Netzwerkanbieter für Schweizer Hochschulen und Forschungsanstalten Gewähr bietet für Sicherheit und Verlässlichkeit. Schweizer Betreiber von LoRaWAN-Gateways können nun ihre Daten an den von Switch betriebenen TTN-Backend-Server in Zürich statt an jenen von TTN in Amsterdam schicken. Damit ist ein Datenaustausch möglich, ohne dass die Daten die Schweiz verlassen, sofern die Anwendungen nur über an den Switch-Server angeschlossene Antennen kommunizieren. Für die Kommunikation mit anderen Gateways im In- oder Ausland ist der Zürcher Server gleichwohl mit jenem in Amsterdam verbunden.

Zwei Anbieter, die sich ergänzen

Neben den Vorteilen der gebührenfreien Nutzung und der freien Zugänglichkeit hat TTN auch einige Nachteile gegenüber kommerziellen Anbietern. Wer in der Schweiz eine mehr oder weniger lückenlose Netzabdeckung, eine fixfertige technische Lösung und massgeschneiderten Support sucht, wird wahrscheinlich eher auf das Low Power Network (LPN) von Swisscom setzen und bereit sein, die dabei anfallenden Gebühren zu zahlen. So sind in der Schweiz in kurzer Zeit zwei sich gut ergänzenden IoT-Welten auf der Grundlage des LoRaWAN-Standards entstanden.

Der Hype in der Szene ist etwas abgeklungen

Die freie IoT-Community in der Schweiz unter dem Dach von The Things Network ist nach wie vor aktiv. Die Dachorganisation ONIA (Open Network Infrastructure Association) vereint Mitglieder der lokalen Schweizer Communities und vertritt die Anliegen von TTN in der Schweiz. Sie hat das Ziel, eine für alle zugängliche und stabile Antenneninfrastruktur bereitzustellen und Einsteigern den Zugang zur LoRaWAN-Welt zu erleichtern. Wie so oft haben sich viele Tüftler und «Technikfreaks» aber nach der aufregenden Pionierphase etwas zurückgezogen und wenden sich Technologien zu, mit denen sie Neuland betreten können. Nach dem anfänglichen IoT-Hype ist heute eine gewisse Ernüchterung feststellbar. Man ist sich einig: Die Technik funktioniert. Aber wozu braucht man sie denn nun eigentlich? In dieser Phase entstehen nun auch immer mehr Ideen für Anwendungen, die ein echtes Bedürfnis befriedigen. Der Kühlschrank, der automatisch Milch nachbestellt, wenn der Vorrat zur Neige geht, gehört da wahrscheinlich nicht dazu. Dann doch viel eher der Bodenfeuchtesensor, der dem Landwirt zuverlässig und zu minimalen Kosten meldet, wenn es Zeit ist, den Acker zu pflügen oder das Gemüsefeld zu bewässern.

Intakte Chancen für The Things Network

Auch wenn die Bäume nicht gleich in den Himmel wachsen, werden sinnvolle IoT-Anwendungen unser Leben zunehmend beeinflussen. Die Technologie für die Datenübermittlung ist dabei vermutlich nicht der entscheidende Faktor. Ob Bluetooth, Wi-Fi, LTE-NB, LTE-M oder 5G: Jede Übertragungstechnologie hat ihre Vor- und Nachteile. Die Stärken von LoRaWAN sind die hohe Energieeffizienz bei gleichzeitig grosser Reichweite. Der Nachteil liegt darin, dass das zur Verfügung stehende schmale ISM-Band nur die Übertragung von bescheidenen Datenmengen zulässt, weshalb in der Regel nur einfache Betriebszustände (zum Beispiel offen/geschlossen) übermittelt werden können. Sinnvolle Anwendungen könnten insbesondere Überwachungs- und Messgeräte sein, die ihren Dienst ohne Wartung mit einer einzigen Batterieladung jahrelang zuverlässig und auch an abgelegenen Standorten erfüllen müssen. Da es sich dabei oft um preissensitive Anwendungen handeln dürfte, wird das lizenzfreie The Things Network seine Daseinsberechtigung zweifellos behalten.

Peter Affolter

Professor Peter Affolter ist Leiter des Instituts Energie- und Mobilitätsforschung IEM der Berner Fachhochschule (BFH) und Initiator der Bern Community von The Things Network.

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