asut-Bulletin
Digital Health
Ausgabe
06/2018
Rückblick: Mobilität neu denken

Das Verkehrsvolumen wird in den nächsten Jahren deutlich wachsen. Gleichzeitig werden neue Technologien das Mobilitätsangebot und damit auch das Reiseverhalten nachhaltig verändern. Bedeutet das unter dem Strich einfach noch mehr Lärm, Stau, Hektik, Luftverschmutzung und gestresste Pendler? Oder bringt uns die Zukunft eine harmonische und nachhaltige Mobilität im Dienste von Mensch und Umwelt? In die richtige Richtung, das zeigte das 19. asut-Kolloquium / Fachtagung ASTRA, its-ch und TCS am 14. November 2018 im ausverkauften Kursaal in Bern, führt die Reise nur dann, wenn die Nutzerbedürfnisse im Zentrum stehen.

Wir schreiben das Jahr 1900. Auf der 5th Avenue in New York stockender Verkehr: Pferdekutschen, dicht an dicht, ein riesiges Gewusel von Fussgängern quillt von den Gehsteigen auf die Fahrbahn – und mitten drin ein einziges Auto. 13 Jahre später ist das Strassenbild nicht wiederzuerkennen. Ein Auto folgt dem anderen, den Fussgängern sind nur noch die Gehsteige geblieben. Und eine letzte Kutsche steht schmal und verloren am Bildrand. So schnell kann eine Technologieumstellung gehen und genau vor einem so tiefgreifenden Wandel der Mobilität, davon zeigte sich Stefan Myhrberg, Business Development Manager Connected Transport von Ericsson, überzeugt, stehen wir auch heute wieder: «Der Transport von Personen und Gütern wird dank neuer Möglichkeiten der Konnektivität und Automatisierung gerade revolutioniert». Voraussetzung dafür sei eine umfassende Zusammenarbeit aller am Verkehrs-Ökosystem beteiligten Partner. Und als technische Voraussetzung 5G: Mobilfunknetze einer neuen Generation, imstande riesige Datenvolumen zu verarbeiten, bei signifikant tieferen Latenzzeiten unzählige Geräte im Internet der Dinge miteinander zu verbinden und mehr Netzstabilität zu bieten.

Künstliche Intelligenz, autonome, vernetzte und gemeinsam smart benutzte Fahrzeuge, Elektromobile, automatisierte Lastwagenflotten, zentral gesteuerte und überwachte intermodale Verkehrssysteme, intelligente Verkehrslösungen und jede Menge auf Wunsch und ortsunabhängig zugänglicher Mobilitätsdienste: Das alles mag effizienter, ressourcenfreundlicher und im Dichtestress urbaner Gebiete platzsparender sein als die heutige Mobilität. Doch was ist mit dem Menschen? Bleibt ihm in dieser schönen neuen, reibungslos und fast unfallfrei vernetzten Verkehrswelt einzig die Rolle des potentiellen Störfaktors? Der Verkehrspsychologe Markus Hackenfort, Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, erforscht, wie Menschen auf den Kontrollverlust reagieren, der mit autonomen Systemen einhergeht, und wie sich das auf die Akzeptanz solcher Systeme auswirkt. Für ihn liegt auf der Hand, dass bis zur völligen Marktdurchdringung Jahrzehnte vergehen dürften. Der IBM-Forscher Dr. Ulrich Schimpel, der sich nicht nur mit den Vorteilen, sondern auch mit den Kehrseiten intelligenter Verkehrssysteme auseinandersetzt, sieht seinerseits die Gefahr, dass die omnipräsenten Sensoren und der Datenhunger als Bedrohung für Datenschutz und Privatsphäre empfunden werden und dass die Künstliche Intelligenz mit ihrer algorithmischen Rationalität den Menschen in seiner Emotionalität überrumpeln und befremden könnten.

 

«Die grösste Herausforderung für die Schweizer Mobilitätsentwicklung ist gleichzeitig auch die grösste Chance», asut-Präsident Peter Grütter

«Future Mobility – Von Treibenden und Getriebenen», lautete der Titel der gemeinsamen Fachtagung des Schweizerischen Verbandes der Telekommunikation (asut), des Bundesamtes für Strassen (ASTRA), der Schweizerischen Verkehrstelematik-Plattform (its-ch) und des Touring Club Schweiz (TCS). Und immer klarer kristallisierte sich in ihrem Verlauf die Erkenntnis heraus, dass die beschleunigte Technologieentwicklung kein Selbstzweck sein kann und neue Mobilitätsangebote nur dann erfolgreich sein werden, wenn sie effektive Kundenbedürfnisse abdecken. Mit «people first, technology second», brachte Glenn Oberholzer, Partner Stimmt AG, das auf den Punkt und sprach sich für eine Mobilität aus, die technische Machbarkeit mit ökologischer und gesellschaftlicher Sinnbarkeit verbindet. Prof. Wolfgang Henseler, Creative Managing Director bei der Sensory-Minds GmbH, plädierte aus demselben Grund dafür, Mobilität neu und nutzerzentriert zu denken. Usability lautet das Zauberwort und meint, dass die Mobilitätsindustrie und Mobilitätsanbieter von ihrem, lange Zeit erfolgreichen produktezentrierten Ansatz wegkommen müssen. Aber gerade etablierte Unternehmen schafften es oft nicht, in eine neue Ära einzutreten, warnte Henseler und zitierte das Beispiel vieler Autobauer, die sich lange Zeit darin gefielen, Tesla zu belächeln – und dabei die Elektromobilität verschlafen haben.

Zukunftsfähige Geschäftsmodelle entwickelt hingegen, wer über den Tellerrand schaut, über Branchengrenzen hinweg denkt, aus Silos ausbricht und mit anderen zusammenspannt. Wie zum Beispiel in der Grossstadt Dubai, wo intelligente Mobilitätskonzepte von der Regierung ermutigt und gepusht werden, wie Helmut Scholze, Partner ATKearney, aufzeigte. So entwickle sich das Morgenland Dank eines hochintegrierten intermodalen ÖV-Systems in Sachen Mobilität zum Übermorgenland. Doch auch ganz in der Nähe, darüber sprach Darian Heim von Shotl, einer Technologieplattform für On-Demand-Shuttles, können kluge neue, flexible und einfach verfügbare Angebote die Lebensqualität im nicht immer gut erschlossenen vorstädtischen und ländlichen Raum wesentlich verbessern. Über den ungeheuren Erfolg, den klug antizipierte, unmittelbar fass- und erleb-, insbesondere aber auch bezahlbare Dienstleistungen zur Befriedigung des Mobilitätsbedürfnisses der Menschen haben können, wusste Patrick Kurth, Leiter Politik beim Fernbusbetreiber FlixMobility, einiges zu berichten.

asut-Präsident Peter Grütter zog am Ende des Tages seine Bilanz in Form eines Wunsches: Ihm schwebe, sagte Grütter, eine von den Nutzern her gedachte Welt ohne Verkehrsprobleme vor. Alle Mobilitätsformen würden dort perfekt zusammenspielen und die Nutzung aller Mobilitätsangebote wäre dermassen selbstverständlich und intuitiv, dass niemand mehr auch nur einen Gedanken daran verschwenden müsste, wie er nun am besten von A nach B gelangen könnte.

Die Präsentationen finden Sie auf der asut-Webseite und kurze Videostatements einzelner Referenten können Sie auf dem Youtube-Channel der asut anschauen. Alle Impressionen zur Konferenz finden Sie in der Fotogalerie.

 

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