asut-Bulletin
Blockchain
Ausgabe
05/2018
Solarstrom in Echtzeit vom Nachbarn kaufen

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(Foto: Supercomputing Systems)

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n Walenstadt geht gerade der erste lokale Strommarkt der Schweiz in Betrieb. Im Pilotprojekt «Quartierstrom» wird Strom mit den Nachbarn im Quartier auf einem dezentralen Marktplatz gehandelt. Die hierfür benötigten personenbezogenen Daten müssen geschützt werden. Wie passt das zusammen mit der weitgehenden Transparenz der Blockchain?

Eigenverbrauch von Solarstrom ist heute attraktiv, denn für das Einspeisen ins Netz erhält man nur einen sehr niedrigen Tarif vergütet. Der Bezug von Strom vom Netz kostet wesentlich mehr. Wie wäre es nun, wenn ein Haushalt mit Solaranlage seinen Überschussstrom direkt in der Nachbarschaft verkaufen könnte? Genau dies wird in Walenstadt ab November erprobt. Im Quartier Schwemmiweg entsteht der erste lokale Strommarkt der Schweiz: Die Preise werden gemäss Angebot und Nachfrage zeitnah via Blockchain festgelegt, Käufe und Verkäufe gemäss individuellen Präferenzen der Teilnehmenden automatisch abgewickelt. Produzenten und Konsumenten können den Handel aktiv beeinflussen und ihre Gebote anpassen. An diesem Leuchtturmprojekt des Bundesamts für Energie beteiligen sich mehrere Hochschulen, Partner aus der Industrie und das Wasser- und Elektrizitätswerk Walenstadt (WEW) als Umsetzungspartner (siehe unten). Der einjährige Pilotversuch startet im November 2018.

Produzenten und Konsumenten gestalten mit

Kauf und Verkauf des Stroms werden direkt unter den Teilnehmenden abgewickelt – das WEW ist als Zwischenhändler ausgeschaltet. Es stellt jedoch sein Verteilnetz für die Übertragung des Solarstroms zur Verfügung und liefert normalen Netzstrom, wenn die Stromnachfrage höher ist als das Solarstromangebot. Für diese Dienstleistungen wird das WEW abgegolten.

Insgesamt 37 Haushalte nehmen am Strommarkt in Walenstadt teil, 28 davon besitzen eine Solarstromanlage. Alle Anlagen zusammen verfügen über eine Leistung von 290 kW und liefern jährlich rund 300’000 kWh Strom. Der Strombedarf der ganzen Gemeinschaft bewegt sich um 250’000 kWh.

Beim Energiehandel platzieren Produzenten ihre Angebote auf dem Markt, die Konsumenten legen fest, zu welchen Konditionen sie Solarstrom kaufen. Beide können über eine App das Marktgeschehen, die Preisentwicklung sowie ihre Käufe und Verkäufe beobachten und ihre Präferenzen anpassen. Hat der Produzent zum Beispiel einen Minimalpreis für seinen Solarstrom definiert, der deutlich über dem Preis im lokalen Strommarkt liegt, wird er diesen nach unten korrigieren, weil er sonst keinen Strom verkauft. Konsumenten können angeben, wie viel sie für den lokalen Solarstrom zu bezahlen bereit sind. Wollen sie eine möglichst hohen Solarstromanteil, legen sie die Grenze höher; wollen sie gegenüber heute Stromkosten sparen, wählen sie einen Maximalpreis, der unterhalb des Standard-Strompreises liegt. Ob die Teilnehmenden tatsächlich in den Strommarkt eingreifen, die Preisentwicklungen beobachten und ihre Präferenzen entsprechend anpassen, wird der Pilotversuch zeigen.

Nebst den Haushalten sind auch sieben Batterien mit einer Gesamtkapazität von 80 kWh, eine Tesla-Schnellladestation und einige Elektroboiler als flexible Kapazitäten in den lokalen Strommarkt integriert. Für alle Batterien werden die gleichen Präferenzen definiert, bei welchem Preisniveau sie Strom speichern bzw. wieder abgeben. Auch die Ladestation für Elektrofahrzeuge wird nach einem festgelegten Preismuster eingebunden.

Die Projektbeteiligten

Das Projekt «Quartierstrom» wird vom Bundesamt für Energie im Rahmen des Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprogramms unterstützt. Am Projekt arbeiten folgende Hochschulen und Industriepartner mit:

  • ETH Zürich, Bits to Energy Lab (Software, Verhaltensforschung, User-Interface, Marktdesign)
  • Hochschule Luzern (Software)
  • Universität St. Gallen, Bosch IoT-Lab (Software)
  • SCS Supercomputing Systems (Hardware, Software)
  • Cleantech21 (Business, Legal)
  • Planar AG (Business, Legal)
  • Sprachwerk GmbH (Kommunikation)
  • Wasser- und Elektrizitätswerk Walenstadt (Umsetzungspartner)
  • Swibi AG
  • BKW AG


Dezentraler Handel über Blockchain

Die Doppelauktion zur Festlegung der Preise und die Abwicklung des Handels inklusive Bezahlung erfolgt über einen sogenannten Smart Contract auf der Blockchain. Die Stromzähler werden hierfür ersetzt durch speziell entwickelte Smart Meter, die untereinander vernetzt sind und eine Blockchain betreiben. Jeder dieser Blockchain-Stromzähler schickt seine Messung als Gebot jede Viertelstunde an den dezentralen Markt. Dieser wird in Form eines Smart Contract implementiert. Ein Smart Contract ist ein Programm, das von allen Teilnehmern ausgeführt wird. Dank dem Konsens-Algorithmus der Blockchain wird sichergestellt, dass alle Teilnehmer dieselben Eingangswerte in dasselbe Programm geben und auf dasselbe Resultat kommen.  

Im Quartierstrom Projekt wird der Konsens-Algorithmus von allen Produzenten ausgeführt. Die Macht über die Blockchain liegt also in den Händen derer, die ein Interesse an einem fairen Markt haben. Solche Blockchains, bei welchen nur eine genau definierte Gruppe den Konsens sicherstellt, wird Permissioned Ledger oder Konsortium-Blockchain genannt.

Falls hingegen weltweit jedermann beim Validieren mitmachen darf, spricht man von einem Public Ledger oder einer öffentlichen Blockchain. Um Betrug zu verhindern, müssen die Validierer einer öffentlichen Blockchain beweisen, dass Sie ein ökonomisches Interesse am Fortbestand der Blockchain und somit an korrekten Abläufen haben. Dieser Beweis lässt sich z.B. durch den nachweislichen Verbrauch von Energie erbringen, Proof-of-Work genannt. Die grössten und bekanntesten öffentlichen Blockchains benötigen aufgrund dieses Prinzips auf die einzelne Transaktion gerechnet heute ca. 100 kWh (Ethereum) bis 900 kWh (Bitcoin) Strom. Für eine Anwendung im Energiebereich, wo Effizienz Pflicht ist, sind solche Blockchains tabu. Wesentlich sparsamere öffentliche Blockchains sind zwar in Entwicklung, haben aber noch nicht den Reifegrad erreicht, der für einen Einsatz im Quartierstrom-Projekt notwendig wäre. Deshalb kommt in Walenstadt eine Konsortium-Blockchain zum Einsatz. Somit entfällt nicht nur der exzessive Energieverbrauch, sondern es können auch sehr viel mehr Transaktionen pro Zeiteinheit prozessiert werden.

Datenschutz auf der Quartierstrom-Blockchain

Blockchains funktionieren nur, wenn die darauf abgewickelten Prozesse für alle validierenden Knoten überprüfbar sind. In der Bitcoin Blockchain sind alle Transaktionen für alle Teilnehmer sichtbar: Wer wem wie viel überweist ist für alle Ewigkeit transparent. Hierbei werden die Teilnehmer zwar pseudonymisiert, dies gilt im Zeitalter von Data Analytics aber als sehr schwacher Schutz der Privatsphäre.

Im Quartierstrom-Projekt wird der Stromverbrauch jedes einzelnen Haushalts im Viertelstundentakt erhoben und in Form eines Gebots am Markt platziert. Die Werte zum Stromverbrauch sind aber schützenswerte Personendaten. Solch ein Lastgang lässt gewisse Rückschlüsse auf einen Haushalt und dessen Bewohner zu. Eine Ferienabwesenheit, der Tagesrhythmus und auch Gewohnheiten sind leicht zu erkennen: Wie oft kochen die Bewohner? Benutzen sie heute nur die Mikrowelle? Wie lange und wie gut schlafen sie? Stehen sie in der Nacht auf? Um eine Weile zu lesen oder zum Toilettenbesuch? Wenn in der Garage ein Elektromobil steht, verrät der Lastgang nicht nur, wann jemand nach Hause kommt, sondern auch wie weit die Person an diesem Tag etwa gefahren ist.

In der herkömmlichen Stromversorgung kann (nur) der Elektrizitätsversorger diese Daten einsehen. Ohne Gegenmassnahmen wären sie in der Quartierstrom-Blockchain hingegen für alle Teilnehmenden lesbar. So könnten die Nachbarn gegenseitig ihre Lastprofile anschauen.

Wie ist es nun möglich, die für das Funktionieren einer Blockchain nötige Transparenz und den Datenschutz unter einen Hut zu bringen? Verschiedene Ansätze der modernen Kryptographie werden im Projekt untersucht (siehe unten). Die Grundidee ist, nur diejenigen Informationen transparent zu machen, welche für die Validierung einer Transaktion zwingend nötig sind. So besteht ein möglicher Ansatz darin, nur die Energiemenge und der Preis eines Gebots transparent zu machen, die Identität des Bieters aber zu verbergen. Ein alternativer Ansatz verbirgt Inhalt des Gebots, aber nicht die Identität des Bieters, stellt aber trotzdem sicher, dass die Preisfindung korrekt abläuft. Somit ist es kaum mehr möglich, aus aufeinanderfolgenden Viertelstundengeboten aller Teilnehmer den Lastgang eines Einzelnen zu rekonstruieren. Die persönlichen Daten zum Stromverbrauch werden nur lokal auf dem Blockchain-Smart-Meter gespeichert. Kein Dritter kann diese auslesen. Auch nicht der Netzbetreiber oder der Energielieferant.

 

Kryptografische Methoden für vertrauliche Transaktionen und Berechnungen

Homomorphic Encryption

Gewisse Rechenoperationen können auf verschlüsselten Daten ausgeführt werden, ohne dass derjenige, der die Rechenoperation ausführt die Daten entschlüsseln kann. Nach aufeinanderfolgenden Operationen kann nur noch das Resultat, nicht aber die Zwischenresultate, vom Schlüsselinhaber entschlüsselt werden. Auf diese Weise lassen sich vertrauliche Berechnungen durchführen.

Zero Knowledge Proofs

Ein Zero Knowledge Proof (ZKP) ist ein kryptografischer Beweis, dass ein öffentlich bekanntes Programm korrekt ausgeführt wurde, ohne dass in der Beweisführung die Eingangswerte des Programms bekannt gemacht werden müssen. Auf Blockchains zugeschnittene ZKP, sogenannte zk-SNARKS, kommen in der Kryptowährung Zcash zum Einsatz. Sie ermöglichen Transaktionen, bei welchen kein Dritter erfährt, wer wem wie viel überwiesen hat. Trotzdem kann jeder Beobachter sicher sein, dass die Transaktion korrekt ist. Zk-SNARKS erfordern einen sehr hohen Rechenaufwand.

Multiparty Computation

Jedes Rechenproblem kann in seine Einzelteile zerlegt werden und in einer bestimmten Weise auf verschiedene Rechner verteilt werden, sodass kein einzelner Rechner die Eingangswerte der Rechnung erfährt. Dieses Prinzip bedarf eines hohen Kommunikationsaufwandes zwischen den Rechnern.

Ringsignaturen

Jede Blockchain-Transaktion muss vom jeweiligen Teilnehmer kryptografisch signiert werden. Bei herkömmlichen Blockchains legt diese Signatur das Pseudonym eines Teilnehmers offen – ein schlechter Schutz der Identität. Die Kryptowährung Monero setzt zum Schutz der Privatsphäre Ringsignaturen ein, die nur den Rückschluss zulassen, dass «jemand aus einer bekannten Gruppe von Teilnehmern» die Transaktion signiert hat. Niemand erfährt aber, wer genau der Urheber der Transaktion ist.

Trusted Execution Environments

Als Alternative zu einem Smart Contract auf der Blockchain bietet ein Trusted Execution Environment (TEE) die Gewissheit, dass ein bestimmtes Programm korrekt und vertraulich auf einem fremden Computer ausgeführt wurde. Hierfür bedarf es zertifizierter Hardware und somit dem Vertrauen in den Hersteller. So könnte der Quartierstrom Marktplatz in einem oder mehreren TEE’s betrieben werden.

 

Alain Brenzikofer

Alain Brenzikofer ist Department Head Decentralized Systems bei Supercomputing Systems.

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