Die Politik muss ihre Scheuklappen ablegen

 

Vernetzte Fahrzeuge, vernetzte Nutzer und Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen jeglicher Art: für Thierry Burkart, FDP-Nationalrat und Mitglied der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF), wird der Spielraum der Politik angesichts der dynamischen Mobilitätsentwicklung in einer vernetzten Gesellschaft zunehmend enger.

 

asut: Wie sehen Sie die Zukunft der Mobilität?

Thierry Burkart: Sie ist ausgesprochen spannend. Die Schweiz ist ja bereits heute eine Mobilitätsstadt, gleichzeitig sind die Mobilitätsbedürfnisse im städtischen Raum, in der Agglomeration oder auf dem Land natürlich sehr unterschiedlich. Je nach Situation ist ein anderer Verkehrsträger ideal, das Gebot der Stunde heisst deshalb Vernetzung. Sie wird die Gesellschaft und die Wirtschaft verändern. Will sie nicht Bremsklotz, sondern Treiber sein, dann ist auch die Politik gefordert, sich neu auszurichten.

 

Was heisst das konkret?

Die Politik sollte die Entwicklung ohne ideologische Scheuklappen begleiten, ihr klare Rahmenbedingungen setzen, sie aber auch fördern, indem sie keine Hindernisse zur Bewahrung bestehender Mobilitätsformen aufbaut. Ein Beispiel: Uber ist ja inzwischen auch in der Politik angekommen und damit geht auch schon die Forderung einher, hier die genau gleiche arbeitsrechtliche Regulierung durchzusetzen, wie anderswo. Meiner Meinung nach sollte stattdessen im Vordergrund stehen, dieses neue Angebot zuzulassen, die Mobilität zu liberalisieren und gleichzeitig gut zu regeln. Denn hier findet eine Vermischung von öffentlichem Verkehr und Individualverkehr statt, der ein herkömmliches Schablonendenken nicht gerecht wird: Es kann in Zukunft nur noch ein Gemeinsam geben, kein Gegeneinander.

Unterlaufen solche neuen Formen nicht Bestrebungen, wie beispielsweise den Schutz der Arbeitnehmenden, für die sich die Politik jahrzehntelang eingesetzt hat?

Für mich ist es offen, ob dieser Schutz hier tatsächlich unterlaufen wird. Und selbst wenn: wäre die angemessene Antwort darauf eine Anpassung der bestehenden Regulierung oder eher der Anstoss dazu, sie zu liberalisieren? Für mich ist der zweite Weg der richtige, den nur so können wir zukünftige Mobilitätsformen überhaupt zulassen. Wenn die Politik nur bewahren will, was wir schon haben, dann behindert sie einen Forschritt, der unserer Gesellschaft sehr viel bringen kann.

 

Auch Sie sprechen aber von der Notwendigkeit einer vollständigen Überarbeitung der Strassenverkehrsgesetzgebung, sobald autonome Fahrzeuge kommen.

Das ist richtig. Denn das wird eine völlig neue Form der individuellen Mobilität sein, wenn wir unsere Fahrzeuge nicht mehr selber aktiv lenken, sondern uns nur noch als Passagiere hineinsetzen. Das ist eine enorme Änderung, die eine Anpassung des Strassenverkehrsrechts verlangt und dazu haftungsrechtliche und viele weitere Fragen aufwirft, auf die die Politik Antworten finden muss.

 

Die Mühlen der Politik malen bekanntlich langsam. Muss sie die Regulierung der Mobilität von morgen schon heute anpacken?

Die Politik tut sicher gut daran, sich schon heute ihre Gedanken dazu zu machen. Regulieren soll sie aber noch nichts, sondern zuerst verschiedene Tests und innovative Möglichkeiten zulassen und erst dann mit der Gestaltung der Rahmenbedingungen anfangen, wenn erkenntlich wird, was dabei herauskommt. Solange wir nicht sicher sind, wo die Reise genau hingeht, sollten wir nicht schon den Riegel schieben.

 

Und wie steht es mit der Zugangsgerechtigkeit? Ist es ein Anliegen der Politik, dafür zu sorgen, dass die schöne neue vernetzte Mobilitätswelt der Zukunft allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung steht?  

Wir haben bereits heute in der Mobilität ein Mischsystem. Es gibt die individuelle Mobilität, die der Markt reguliert, und den ÖV, der stark subventioniert ist und so praktisch allen offensteht. Solche Mischformen werden wir auch in Zukunft sehen, aber die reine individuelle Mobilität wird weiterhin ohne staatliche Subventionierung funktionieren müssen. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass die Mobilität durch die Vernetzung noch günstiger und attraktiver wird.  Nicht zuletzt deshalb, weil autonom fahrende Fahrzeuge, in denen man ebenfalls lesen und arbeiten kann, den heutigen grossen Wettbewerbsvorteil des ÖV zunichtemachen werden. Der Individualverkehr wird also weiterhin zunehmen und deshalb glaube ich, dass wir auch in Zukunft in die Infrastruktur investieren werden müssen.

 

 

 

Die Schweiz als Zukunftslabor

In einer lebhaften Podiumsdiskussion nahmen die vier Referenten des Morgens die wichtigsten Punkte noch einmal auf. Bernhard Rytz beispielsweise betonte, dass er den Ärger über überfüllte Züge gut nachvollziehen könne, dass er es aber eigentlich noch viel schlimmer finde, dass die SBB in den Randstunden so schlecht ausgelastet seien: «Es müsste uns gelingen, die Spitzen zu verlagern, das wäre wirtschaftlich gesehen das vernünftigste.» Wie das gelingen könnte, dazu gab es aus der Runde verschiedene Vorschläge: etwa Home Office, flexible Arbeitszeiten oder eine bessere Nutzung der Vernetzung mittels kollaborativer Ansätze wie Ridesharing oder digitalen Mitfahrzentralen.

 

Jörg Beckmann hingegen fand es bemerkenswert, dass die ÖV-Nutzerinnen und -Nutzer die Länge der Reisezeit weit weniger stört, als eine unpünktliche und damit nicht berechenbare Dienstleistung. Das zeige wie stark sich das Nutzerverhalten bereits verändert habe: Zufrieden ist heute, wer seine Reisezeit aktiv nutzen kann, beispielsweise zum Arbeiten oder zum Einkaufen.

 

Ein Land in dem Umfragen Werte ergeben, wie die Publikumsumfrage am Kolloquium, ist für Wilfried J. Steffen eine «Insel der Glückseligen». Das zeige, dass die Grundinfrastruktur und die grundlegenden Voraussetzungen in der Schweiz vorhanden seien: «Sie ist somit ein hervorragendes Labor für neue Verkehrs- und Mobilitätslösungen.»

 

Wenig Sympathie hatte der FDP-Politiker Thierry Burkart für die Frage aus dem Publikum, ob nicht auch eine Einschränkung der Mobilität eine zukunftsfähige Lösung sein könnte. Für ihn ist Mobilität eine Errungenschaft demokratischer Gesellschaften und er wünschte sich ausgewogene Mobilitätsdiskussionen, in denen der enorme Nutzen dieser Bewegungsfreiheit genauso offen zur Sprache kommen, wie der Ärger über gewisse ihrer Nachteile: «Wenn alle online einkaufen, dann stehen eben vielleicht auch alle öfter im Stau und ärgern sich über die Lastwagen, die die Strassen verstopfen.» Die Runde stimmte ihm zu: Fragen könne man sich allenfalls, ob sich durch eine effizientere Nutzung der Kapazitäten mehr Mobilität mit weniger Verkehr verwirklichen liesse, meinte Wilfried J. Steffen.

 

Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer auch in weiteren Punkten: Die Entwicklung schreitet rasant voran. Mobility as a Service kommt. Routinen bremsen, und wer von den klassischen Mobilitätsanbieter relevant bleiben will, muss sich wandeln und mit anderen, auch Branchenfremden kooperieren. Als besonders wichtig hob die Runde den Umgang mit den Daten hervor. Wie die Kundenschnittstellen gehörten sie ganz klar den Kunden und Datensilos seitens der Unternehmen brächten gar nichts: Am Ende, so betonte Wilfried J. Steffen, gewinne das bequemste Angebot und nicht das Geschäftsmodell, das Daten am besten hortet.