Die Schweiz muss Tempo zulegen

Für Urs Rüegsegger, CEO von Six, bedeutet Digitalisierung der Finanzwirtschaft in erster Linie Kulturwandel. Und das findet er gut so.

asut: Digitale Transformation, schmerzhafte Umbrüche in verschiedensten Branchen… sehen Sie die Entwicklung für den Schweizer Finanzplatz als Chance oder eher als Risiko?

Eindeutig als Chance. Denn die Digitalisierung schafft Möglichkeiten, den Finanzplatz noch leistungsfähiger zu gestalten. Völlig neu ist sie übrigens nicht: Die sukzessive Übertragung verschiedenster Elemente unseres Geschäfts aus der physischen in die digitale Welt hat bereits vor mehreren Jahrzehnten begonnen. Erst vor kurzem haben wir beispielsweise das 20-jährige Jubiläum der elektronischen Börse gefeiert. Damals titelte die NZZ zweifelnd: «Kann die Maschine den Börsenhändler ersetzen?». Heute wissen wir, dass die Umstellung vom Ringhandel auf eine vollelektronische Handelsplattform die Schweiz weltweit an die vorderste Front katapultiert hat.

Allgemein erlaubt es die Digitalisierung, vorhandene Ressourcen effizienter zu nutzen. Welche Veränderungsprozesse löst das in der Finanzbranche aus? Welche neuen Geschäftsmodelle entstehen, welche neuen Märkte öffnen sich?

Effizienz ist ein wichtiges Kriterium, aber andere Punkte sind genau so wichtig. Durch die Digitalisierung und insbesondere die gezielte Auswertung von gespeicherten Daten sind neue Geschäfte und viel breitere und viel kundenorientiertere Angebote möglich geworden. Heute können Kunden von überall her und ohne Einschränkungen auf alle Dienstleistungen einer Bank zugreifen. Die Beziehung des Kunden zu seiner Bank wird stärker automatisiert und mobiler. Dadurch ergeben sich neue Anforderungen an die Finanzmarktinfrastruktur.

Natürlich führt diese Entwicklung kurzfristig erst einmal zu Brüchen. Kleine Start-ups wie auch branchenfremde internationale Technologiekonzerne treten in den Markt ein, neue Geschäftsmodelle entstehen. Gewisse Berufsbilder werden verschwinden, der Handel wird sich weiter globalisieren, die Konkurrenz sich steigern. Dass es einmal Börsentelefonisten gab, wird uns bald so merkwürdig vorkommen, wie die Tatsache, dass früher jeden Tag bei Geschäftsschluss ein Bankangestellter mit der Mappe unter dem Arm das Clearing bei der Nationalbank vollzog. Auch Kundenberater, physische Bankfilialen und Einzahlungsscheine wird es wohl bald nicht mehr im selben Ausmass geben wie heute. An ihre Stelle werden neue Berufsbilder, neue Dienstleistungen an der Kundenschnittstelle treten. Eine bedeutende Neuerung in dieser Hinsicht wird beispielsweise die Öffnung des Zahlungsverkehrs ab 2018 für Drittanbieter sein. Dieser Zugang zu Bankkonten wird Banken und Fintechs ein breites Spielfeld für neue Angebote eröffnen.

Wie ist der Schweizer Finanzplatz für diese Veränderungen gewappnet?

Gewisse Akteure nehmen eine Vorreiterrolle ein, andere warten eher ab. Im Allgemeinen läuft der Prozess meiner Ansicht nach aber in die gute Richtung. Der Finanzplatz Schweiz konnte sich in Vergangenheit immer erfolgreich auf neue Situationen oder Entwicklungen einstellen. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

 

Bald ohne Börsentelefonisten: Die Börse in Zürich.                               Foto: SIX

Haben Entwicklungen wie die Blockchain oder Cryptowährungen das Potenzial, die Mittlerrolle der klassischen Finanzinstitute zu verdrängen und die Kontroll- und Stabilisierungsfunktion des Staates in Frage zu stellen?

Die Blockchain als „Distributed Ledger“, also als eine Art transparentes öffentliches Register hat grundsätzlich viele Vorteile. Sie erlaubt es, neue Standards zu etablieren, Prozesse zu vereinfachen, die umständliche Abstimmung zwischen verschiedenen Teilnehmern abzuschaffen. Auch hier also gibt es zuerst einmal ein enormes Effizienzsteigerungspotenzial.

Aber alle diese Vermittlungs- und Überwachungsmechanismen sind entstanden, um die Sicherheit verschiedener Handels- und Finanztransaktionen zu gewähren. Niemand soll zu Schaden kommen: Auf diesem Prinzip beruht die Nationalbank, deshalb gibt es die Finma. Wollen wir unser gesamtes Vertrauen künftig einzig und allein auf die Technologie setzen? So weit sind wir zum heutigen Zeitpunkt sicher noch nicht. Auch in verteilten Systemen braucht es Instanzen, die für die Richtigkeit von Transaktionen und die Werthaltigkeit von Vermögenswerten im weitesten Sinn einstehen.

Im Alltag wird mobiles Bezahlen immer gegenwärtiger. SIX ist mit Paymit im mobilen Zahlungsverkehr dabei, die Konkurrenz ist gross: Welcher Standard wird sich durchsetzen?

Auf Ebene der Zahlungsmittel wird der Trend der Digitalisierung von uns dazu genutzt, das Bargeld zu reduzieren und die Plattformen und die Infrastruktur aufzubauen, die es braucht, um den ganzen Zahlungsvorgang künftig im digitalen Raum abwickeln zu können. Meine Prognose ist, dass sich hier irgendwann eine Konsolidierung ergeben und die Fragmentierung verschwinden wird. Den Ausschlag werden neben der Convenience, der leichten Handhabbarkeit, hauptsächlich zwei Kriterien geben: Sicherheit und Vertrauen. Solange das Vertrauen fehlt, sind Kunden unter Umständen nämlich sogar bereit, ineffizientere Lösungen in Kauf zu nehmen.

Und der Schweizer Franken? Kann ein digitaler Franken die Aura der starken, verlässlichen Fluchtwährung aufrechterhalten? Und was würde dann aus dem schönen Motto: Geld ist geprägte Freiheit?

Die Aura des Schweizer Frankens hängt nicht davon ab, ob man ihn anfassen kann oder ob er nur digital existiert. Das ist von untergeordneter Bedeutung.

Digitalisierte Währungen wird es geben, davon bin ich überzeugt. Eigentlich ist dies nichts als eine logische Weiterentwicklung des Geldwesens: Bis zur Währungsreform von 1850 gab es in der Schweiz eine Vielzahl von in- und ausländischen Münzen und Währungen, erst dann wurde eine eigene nationale Währung eingeführt, was den Zahlungsverkehr ungemein vereinfacht. Die Digitalisierung der Währung hat ebenfalls ein gigantisches Effizienzsteigerungspotenzial. Nicht von ungefähr spielen die Zentralbanken und insbesondere die Bank of England, die die Herausgabe einer eigenen digitalen Währung erwägt, in dieser Entwicklung eine zentrale Rolle.

Auf gesellschaftlicher Ebene entstehen mit der Verschiebung in die digitale Welt auch gewisse Machtverschiebungen, weil neue Themen wie der Zugang zu Ressourcen, Nachverfolgbarkeit oder Datenschutz mit dem Geld verknüpft werden. Die Bedenken, die diese Entwicklung bei älteren Generationen weckt, teilen jüngere Menschen allerdings viel weniger. Hier ist bereits eine Verschiebung der Werte in Gang.

SIX setzt auf die Fintech-Szene und hat mit F10 einen Fintech-Inkubator ins Leben gerufen. Kann die Schweiz in diesem Bereich überhaupt mitspielen? Welche Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein?

Gegenüber Silikon Valley oder London mögen wir zwar einen gewissen Rückstand aufweisen, aber die Entwicklung ist auf gutem Weg. Die regulatorischen und steuerlichen Rahmenbedingungen sind in der Schweiz vielleicht noch nicht ideal, aber nach einem runden Tisch sind der Wirtschaftsminister Johann N. Schneider-Ammann und die Politik zumindest sensibilisiert. Eine staatliche Intervention, über das Schaffen von günstigen Voraussetzungen hinaus, ist meiner Ansicht nach nicht notwendig. Viel wichtiger sind zwei Dinge auf Seiten des Finanzsektors: Genügend Ressourcen für das das rasche Erkennen und Nutzbarmachen relevanter neuer Technologien sowie Zusammenarbeit und Austausch unter den verschiedenen Marktteilnehmern. Genau aus diesem Grund bringt der F10 Incubator von der Fintech-Szene über Banken, Versicherer, IT-Firmen und Universitäten verschiedenste Akteure zusammen.

Eine von Six und Swisscom in Auftrag gegebene Studie der EPFL ortet Nachholbedarf im Bereich der Digitalisierung in der Schweiz: Gilt das auch oder gerade für die Finanzbranche? Was tut not und wer ist gefordert?

Im Quervergleich zu anderen Ländern steht die Schweiz nicht schlecht da. Aber sie muss aktiv bleiben, wenn nicht sogar Tempo zulegen. Wir haben führende Marktteilnehmer in der Vermögensverwaltung, ausgezeichnet ausgebildete Leute in allen Bereichen und Top-Forschungsinstitute. Mit ihnen, beispielsweise mit der ETH im Bereich Cyber Security, müssen wir branchenübergreifend zusammenarbeiten und die Möglichkeiten der Digitalisierung in den einzelnen Unternehmen und Institutionen gezielt einsetzen. Die Voraussetzungen sind da – ob es gelingt ist letztendlich eine Frage des Mindsets. Ohne einen Kulturwandel wird es nicht gehen.  

Interview: Christine D'Anna-Huber

 

 

SIX, das Rückgrat des Schweizer Finanzplatzes


 

Urs RüegseggerSIX urs.rueegsegger@six-group.com

Dr. Urs Rüegsegger ist  Vorsitzender der Geschäftsleitung des Schweizer Finanzmarktinfrastrukturunternehmens SIX und seit 2008 Group CEO. Zuvor bekleidete er die Funktion des Präsidenten der Geschäftsleitung der St. Galler Kantonalbank.