Energie-Management in Echtzeit – bis zur Steckdose

Am 21. Mai 2017 hat das Schweizer Volk «Ja zur Energiewende» gesagt - «Ja» zu mehr Energie aus Photovoltaik-, Wind- und Wasserkraft-Anlagen, und auch «Ja» zur Nutzung von Energie, welche lokal produziert wird. Denn die Energiewende realisieren wir nicht nur mittels Einsparung von Energie, sondern vor allem auch über neue Wege der Energie-Gewinnung und Nutzung. Dies aber erfordert neuar­tige Methoden, mit welchen in Echtzeit Energieflüsse gemessen und gesteuert werden können. Mit den Techniken des Internet of Things (IoT) kann dies be­werkstelligt werden.

Einleitung und Motivation

Die Energiewende bedeutet eine starke Abkehr von zentralen Kraftwerken auf Basis von Kern­spaltung und fossilen Brennstoffen. An deren Stelle sollen dezentrale Photovoltaik- und Wind­kraftanlagen treten, ergänzt mit Wasserkraftwerken, welche als Pumpspeicherwerke auch Energie speichern können.

Die Menge der durch Photovoltaik und Wind produzierten Energie («Produktion») ist stark abhän­gig von Zeit und Wetterbedingungen und daher grossen Schwankungen unterworfen. Der Ver­brauch von elektrischer Energie («Konsumation») schwankt ebenfalls stark, bedingt durch Tag/Nacht sowie durch Lastgänge, welche meist während kurzen Zeitabschnitten erfolgen, wie z. B. Kochen, TV-Konsum und zunehmend auch das Aufladen von E-Fahrzeugen (schwergewichtig am Abend).

Herausforderung: Die Konsumation von elektrischer Energie muss zeitgleich zur Produktion erfolgen! Eine Differenz zwischen Produktionsmenge und Konsumationsmenge stellt ein grosses Problem dar. Mittels zentralen Pumpspeicherwerken, wie z. B. das PSW Linth-Limmern, wird heute diese Differenz ausgeglichen. Zunehmend werden auch dezentrale Batterie-Speicher eingesetzt (siehe Artikel zum Thema dezentrale smarte «Powerstation»). Diese Verfahren sind jedoch kostenintensiv und mit Energieverlusten behaftet.

Die neuen Techniken des Internet of Things (IoT) ermöglichen noch weitere, ergänzende und neue Wege: Durch gezielte Steuerung von Lasten beim Konsumenten – direkt an der Steckdose und beim Verbrauchsgerät – kann die Konsumationsmenge der Produktionsmenge angepasst werden. So kann beispielsweise das Warmwasser dann aufbereitet und das E-Fahrzeug dann geladen werden, wenn die dafür notwendige Energie tatsächlich auch vorhanden ist. Man kann sich vorstellen, dass künftig auch die grossen Batterien von E-Fahrzeugen kurzzeitig zur Bereit­stellung («Produktion») von Energie genutzt werden können.

Geschieht diese Anpassung der konsumierten Energie zudem aufgrund von lokaler verfügbarer und lokal produzierter Energie, dann stammt der Strom aus der Region/Nachbarschaft. Dies ist insbesondere die Motivation für die sog. Eigenverbrauchsgemeinschaften (EVG), welche die lokal produzierte Energie auch selber nutzen wollen.

Anforderungen

Was wird benötigt, um eine solche IoT-basierte Energiesteuerung realisieren zu können?

Echtzeit

Um die oben beschriebenen Ziele erreichen zu können, muss die ganze Anlage in der Lage sein, Daten in Echtzeit zu erfassen, zu verarbeiten und entsprechende Steuerbefehle auszugeben. Eine Zykluszeit von einigen Minuten reicht nicht – Daten müssen z.T. in Abständen von wenigen Sekunden erfasst und verarbeitet werden.

Energieflüsse dezentral erfassen

Energieflüsse, sowohl betreffend Produktion wie auch Konsumation, fallen dezentral an und müssen erfasst werden – in Echtzeit, wie oben beschrieben.

Lasten dezentral steuern

Analoges gilt für die Steuerung von Lasten. Betreffend Echtzeitanforderung gilt es hier zu beach­ten, dass Lasten nicht beliebig oft und in kurzen Zeitabständen geschaltet und gesteuert werden sollten (Hysterese nötig).

Sichere und robuste Echtzeit-Kommunikation

Messwerte und Steuerbefehle müssen sicher (abhörsicher und unbeeinflussbar) sowie robust mit hoher Verfügbarkeit übertragen werden können. Dies stellt Anforderungen sowohl an die Daten­übermittlung wie auch an die Protokolle und Speicherverfahren. Eine klassische Ablage der Daten in der Cloud mit nachfolgender Abfrage erreicht schnell die Grenze der Leistungsfähigkeit. Vielmehr sind hier echtzeit-fähige und verteilte Meldeverfahren sinnvoll und nötig.

Voraussagen

Eine Anpassung der Konsumation an die effektive Produktion wird umso einfacher, je genauer aufgrund von Erfahrungs- und Wetterdaten Voraussagen zu Produktion und Konsumation gemacht werden können. Mit Hilfe von Methoden der künstlichen Intelligenz (neuronale Netze und maschinelles Lernen) ist dies möglich – neu muss es auch in Realtime erfolgen.

Implementation

Gemäss diesen Anforderungen hat die BFH eine Plattform für den sicheren Datenaustausch und die Verarbeitung von Messwerten in Echtzeit konzipiert; sie erweitert diese Konzepte aufgrund der Erfahrungen im Felde kontinuierlich. Dieses Projekt trägt den Namen: SIOT, was so viel heisst wie: «sicheres, smartes und simples IoT-System aus der Schweiz».

Bild 1 zeigt die grundlegende Struktur eines SIOT-basierten IoT-Systems:

An verschiedenen Standorten («IoT zone») befinden sich Sensoren und Aktoren, welche über ein entsprechendes lokales Netzwerk (Sensor/Aktor) miteinander und mit einem Gateway verbunden sind («zonegateway»). Diese Netzwerke können auf verschiedenen Technologien basieren: WIFI, Zigbee, LoRa etc.

 

Bild 1: Übersicht SIOT-Plattform

 

Zusätzlich und optional wird auch ein sog. Fog-Computer («fog device») in das lokale Sensor/Aktor-Netz integriert; dieser Computer erlaubt es, gewisse Echtzeit-Operationen quasi «vor Ort» zu vollbringen und kann in Fehlerfällen auch als Fallback genutzt werden.

Das Herzstück von SIOT ist die sichere, smarte und einfache Kommunikationsplattform, welche in Echtzeit die Informationen an die richtigen Destinationen leitet.

Die Vernetzung über die weite Distanz basiert auf dem weltweiten Internet, wobei gerade für diesen Übertragungsweg hohe Sicherheitsmassnahmen zur Anwendung kommen.

In der Cloud schliesslich werden die Daten langfristig und sicher abgelegt sowie mit geeigneten Algorithmen verarbeitet. Hierzu stehen auch Informationen, wie z.B. Wetterdaten, von Dritten zur Verfügung (sog. Cyber-World, Big Data). Diese werden ebenfalls über die sichere Kommunikations­plattform übertragen.

Ein leistungsfähiges System für die Verwaltung von Nutzern und deren Rollen sowie für die Verwaltung des Inventars («wo ist welches Device?») runden das System ab.

Energiemanagement mit SIOT

Mit SIOT ist es einfach möglich, Gesamtlösungen für das sichere Managen von Energieappli­kation in Echtzeit zu realisieren, so dass die oben vorgestellten Anforderungen erfüllt sind.

 

Bild 2: Energiemanagement mit Hilfe der SIOT-Plattform
real-time Smart-Meter, Smart-Plug, intelligentes Heizelement, steuerbares Ladegerät, robuster Netzwerk-Knoten

 

Energiezähler an verschiedenen Standorten bilden ein dezentrales Informationssystem und zeigen die Energieflüsse. Mit Hilfe von intelligenten Schaltern und Reglern können die Ver­brauchswerte beeinflusst werden.

Insbesondere kann Energie auch intelligent («smart») zwischengespeichert werden, so z.B. in Batterie-basierten Speichern oder in Wärmespeichern. Entsprechend gesteuerte Regler sind in die Plattform integriert.

Für ein solches Energiemanagement kommen derzeit die folgenden Komponenten von Drittan­bietern zur Anwendung:

 

Bild 3: Komponenten für Energiemanagement mit SIOT
real-time Smart-Meter, Smart-Plug, intelligentes Heizelement, steuerbares Ladegerät, robuster Zone Gateway

Konkrete Projekte

Basierend auf dieser Plattform sind bislang folgende Anwendungen realisiert worden:

  • Energiemanagement für Eigenverbrauchsgesellschaften: Erfassen der Verbrauchswerte der verschiedenen Wohneinheiten und lokalen Produktionsanlagen (Photovoltaik) sowie die Erstellung der entsprechenden Abrechnungen.
  • Charge-Point-Control: gezieltes Lastmanagement von Ladestationen für E-Fahrzeuge einschliesslich der Abrechnung.
  • Change38: Change38 ist eine Peer-to-Peer-Handelsplattform für Grünstrom (siehe: Youtube-Video dazu). Sie erlaubt den Strom aus der Region gezielt einzukaufen und gibt dem Nutzer die Möglichkeit, seinen Energiebedarf zu steuern und damit auf die Verfügbarkeit von umweltfreundlicher Energie auszurichten.

Fazit

Die bislang erzielten Resultate bestätigen folgendes:

  • Energiemanagement auf Basis von Leistungsmessungen und Laststeuerungen ist in Echtzeit möglich.
  • Dank Lastmanagement in Echtzeit kann die Nutzung von (lokal) verfügbarer Energie optimiert werden, womit ein wesentlicher Beitrag zur Energiewende erzielt werden kann.
  • Zusätzliche lokal vorhandene Energiespeicher spielen dabei eine zentrale Rolle, indem sie die lokal verfügbare Energie gut zwischenspeichern und wieder verfügbar machen können. Sie spielen zudem eine wesentliche Rolle beim Auffangen von zeitlich begrenzten Last- und Produktionsspitzen.

Forschungsbedarf

Trotz ersten und erfolgreichen Projekten besteht weiterer Forschungsbedarf, um diesen Ansatz vor allem dessen Massentauglichkeit besser zu verstehen und um wesentliche Komponenten zu erweitern. Hierzu sollen die folgenden Fragen bearbeitet werden:

  • Datensicherheit und Datenschutz vom Sensor bis zur Cloud:
    Wie kann sichergestellt werden, dass die gemessenen Daten und Steuerbefehle sicher und vertraulich übermittelt und abgelegt werden? Und mit welchem Aufwand ist dies verbunden?
     
  • Cloud/Fog:
    Welche Teile der Steueralgorithmen können in der zentralen Cloud, und welche Teile müssen lokal vor Ort (im sog. «Fog») bearbeitet werden, damit die Forderung nach Echtzeitverarbeitung erfüllt ist?
     
  • Voraussagen (siehe Bild unten):
    Wie können mit den Methoden der künstlichen Intelligenz (neuronale Netze und maschi­nelles Lernen) die Produktion und Konsumation von Energie vorausgesagt und in die Echtzeitverarbeitung einbezogen werden?

 



Bild 4: 7-Tage-Prognose für Produktion von PV (rot) sowie real gemessene Produktion (blau)

 

Zur Beantwortung dieser Fragen verfügt die Berner Fachhochschule und insbesondere das Research Institute for Security in the Information Society RISIS  über die nötigen Kompetenzen in den Bereichen Netzwerktechnologie und Sicherheitsverfahren sowie maschinelles Lernen.

Weitere Informationen

Die Change38 Applikation wird bei SRF vorgestellt

 

SIOT-Plattform

 

Andreas Danuser andreas.danuser@bfh.ch

Prof. Dr. Andreas Danuser ist Dozent für Computerwissenschaften an der Berner Fachhochschule. Als langjähriger Unternehmer hat er umfassende Erfahrung gesammelt was den Transfer von Innovationen aus dem Labor in den Markt betrifft. Deshalb arbeitet er in verschiedenen Projekten in enger Partnerschaft mit Jungunternehmen zusammen, welche die Konzepte des Internet of Things in marktreife Produkte umsetzen.