Die einen gehen, die anderen kommen
Geht es in Zukunft ohne Menschen? In diesem beinahe vollständig automatisierten chinesischen Paketzentrum sortieren Roboter 200'000 Pakete pro Tag: ein atemberaubendes Präzisionsballet fast ohne menschliche Mithilfe.

 

(cdh) – Niemand kann in die Zukunft sehen. Das hindert uns Menschen natürlich nicht daran, es trotzdem zu versuchen, ganz besonders in Zeiten der grossen Umbrüche. Über die möglichen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt gibt es deshalb verschiedenste Zukunftsprognosen – und nicht wenige davon fallen ziemlich alarmistisch aus.

So heisst es immer wieder, durch die Digitalisierung oder, genauer, die Automatisierung und die künstliche Intelligenz, würden fast die Hälfte aller Jobs vernichtet werden. Die Quelle dieser Zahl ist die 2013 publizierte Studie des Ökonomen Carl Benedikt Frey und des Informatikers Michael Osborne von der Universität Oxford, («The Future of Employment») – die allerdings auf einer verallgemeinerten Schätzung beruht: Frey und Osborne untersuchten die «Automatisierbarkeit» von 70 Berufen und schlossen aus dieser Analyse auf weitere insgesamt 702 Jobprofile: «Pi-mal-Daumen-Studie» meint «Die Zeit» abschätzig dazu. Ähnlich schwarz malt eine Studie des World Economic Forum («The Future of Jobs») aus dem Jahr 2016. Die WEF-Studie geht von einem Verlust von rund 5 Millionen Jobs in den 15 wichtigsten Industrie- und Schwellenländern bis Ende 2020 aus. Und zwar weniger in den bereits weitgehend automatisierten Fabriken als in Büros und Verwaltung – dort werden gemäss der Studie zwei Drittel aller Jobverluste anfallen: Und zwar bei all den Aufgaben nämlich, wo es hauptsächlich darum geht, bestehendes Wissen abzurufen, bestehende Regeln richtig anzuwenden und repetitive Abläufe zu wiederholen. Gute Chancen räumt sie dagegen allen Arbeitsprofilen ein, die mit Mathematik, ICT oder Ingenieurwesen zu tun haben.

Wer vermisst den Regenschirmflicker?

Wie gesagt: In die Zukunft sehen kann niemand. Vielleicht wird es in ein paar Jahren tatsächlich keine Taxi-, Bus- und Lastwagenfahrer und keine Postboten mehr geben, weil sie durch autonome Fahrzeuge, Lieferwagen, Drohnen oder Roboter obsolet gemacht werden. Ob das schlimm oder einfach unausweichlich und an sich nichts Neues ist (vermisst jemand Regenschirmflicker? Kesselverzinker? Störnährinnen?), bleibe dahingestellt. Aber es bedeutet nicht unbedingt, dass es unter dem Strich weniger Arbeitsplätze geben wird. Belegt wird das durch eine Beobachtung, die in der Fachliteratur als «Ironie der Automatisierung» bekannt ist: Je stärker Abläufe automatisiert werden, desto anspruchsvoller wird es, Störungen zu erkennen und zu beheben – und damit geht die Schaffung von neuen Stellen einher und die Wertschätzung von Fähigkeiten, die keine Maschine und kein Algorithmus übernehmen kann: Erfahrungswissen, Intuition, Improvisationskunst, soziale Kompetenz. Wenn diese Stellen repetitive und gesundheitsschädliche Arbeiten ablösen und der benötigten höheren Qualifizierung entsprechend entlöhnt werden, dann dürfte am Ende das allgemeine Wohlbefinden und der Wohlstand aller wachsen – und das wiederum einen Innovationsschub einleiten.

Natürlich sind auch das Spekulationen. Was sich hingegen schon jetzt abzeichnet, ist, dass die Digitalisierung mit den Hilfsmitteln, die sie uns zur Verfügung stellt und der Mobilität, die sie erlaubt, Arbeitsmodelle, Arbeitsweisen, Anforderungen und Ansprüche verändert. Auf Seite der Arbeitnehmer beispielsweise werden die Ansprüche an die Ausbildung wachsen und es wird die Notwendigkeit hinzukommen, sich ein Arbeitsleben lang weiterzubilden und dazuzulernen. Denn Bildung und Qualifikation, so beispielsweise der Schluss einer Studie des deutschen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsbildung, können dem Risiko entgegenwirken, dass berufliche Tätigkeiten von Computern übernommen werden (die gleiche Studie sieht übrigens nur gerade 0,4 Prozent aller Berufe durch Computertechnologie und Automatisierung vom kompletten Verschwinden bedroht). Auf Seite der Arbeitgeber setzt es die Bereitschaft voraus, liebgewordene Hierarchien zu überdenken und den Arbeitnehmer nicht nur flexiblere Arbeitsmodelle zur Verfügung zu stellen, sondern auch die Möglichkeit, ihr Arbeitsleben über seine ganze Dauer hinweg neu zu organisieren: abwechselnde intensive Grosseinsätze, Zeiten der Weiterbildungen, Ruhepausen und Sabbaticals würden Jüngeren dabei helfen, Beruf und Familie besser zu vereinbaren, und es Älteren ermöglichen, ihr Know-how in geeigneter Form auch nach Erreichen des AHV-Alters gewinnbringend (für sich und für die Gesellschaft) einzusetzen.

Verbrüderung von Mensch und Maschine

Solche Umbrüche zeichnen sich, wie eine kurze Recherche in den Schweizer Medien zeigt, auch in unserem Land bereits ab. Im Bankensektor beispielsweise wird kein Hehl daraus gemacht, dass die Prozessautomatisierung eine gewisse Anzahl von Stellen überflüssig machen dürfte. Das betreffe, erklärte UBS-Betriebschef Axel Lehman laut der Nachrichtenagentur sda am diesjährigen WEF, hauptsächlich bereits in Niedriglohnländer ausgelagerte Stellen «mit einfacheren Tätigkeiten». In der Schweiz hingegen sieht Lehmann eher Chancen: Dass der «langweiligere Teil des Jobs» automatisiert werden könne, eröffne Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich auf andere Tätigkeiten zu konzentrieren. Ähnliche Aussagen gibt es aus der MEM-Industrie. So erklärt ABB-Chef Ulrich Spiesshofer der «Aargauer Zeitung», dass die Digitalisierung der gesamten Vertriebsunterstützung den Vertriebsmitarbeitern sehr viel mehr Zeit für die Pflege der Kundenbeziehungen gebe: «Wir haben dann hoffentlich mehr Aufträge und können mehr Menschen beschäftigen.» Aus der Antwort scheint die Chance hervor, die in der Digitalisierung steckt: Dass sie nämlich das Zusammenspiel von menschlichen Fähigkeiten und smarten Hilfsmitteln verbessert – im Interesse der Menschen, die sie ja geschaffen haben.

Vielleicht weniger, vielleicht mehr, aber auf alle Fälle andere Stellen: Welche werden es sein? Welche Berufe haben im Zeitalter der Digitalisierung gute Karten für die Zukunft? Abschliessend gültige Antworten gibt es keine, Indizien aber schon. In der Schweiz fasst die Plattform job-trends.ch sie zusammen, in Deutschland gibt Job Futuromat Anwort auf die bange Frage: «Kann ein Roboter meinen Job machen?»