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Urbanfish, einer von rund 70 Schweizer Coworking Spaces.

(Universität St. Gallen) – Der Begriff Coworking wurde 2005 mit der Eröffnung des ersten offiziellen Coworking Space in San Francisco geprägt – heute gibt es weltweit über 10'000 Coworking Spaces. Der erste Coworking Space der Schweiz, der Citizen Space im Zürcher Steinfelsareal, wurde 2007 gegründet. Stand heute sind es in der Schweiz rund 70 Coworking Spaces, wobei das rasante Wachstum anhält und fast im Wochenrhythmus neue Angebote dazu kommen. Während die ursprüngliche Bewegung primär auf die Bedürfnisse von Startups und Freelancern ausgerichtet war, interessieren sich in jüngster Zeit vermehrt auch etablierte Firmen für diese neue Form der Zusammenarbeit und die Vernetzung mit Communities über die Unternehmensgrenzen hinaus.

Die Studie der Universität St.Gallen «Coworking aus Unternehmenssicht – Serendipity-Biotop oder Fluchtort?» setzt sich explizit mit Einsatzszenarien aus der Sicht von Unternehmen auseinander, die über eigene Büroräumlichkeiten verfügen und für die Coworking ein alternatives Arbeitsszenario in Ergänzung zum Corporate Office, Home Office und Arbeiten von unterwegs darstellt. Da viele Firmen aufgrund des zunehmend mobileren Arbeitsverhaltens der Mitarbeitenden über ungenutzte Flächen im Corporate Office verfügen, gilt es mögliche Einsatzszenarien genau zu prüfen, insbesondere vor dem Hintergrund der Frage, ob die identifizierten Chancen die durch Coworking verursachten Zusatzkosten rechtfertigen.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie

Coworking ist für etablierte Firmen aus drei Perspektiven interessant:

1. Coworking als alternatives Arbeitsszenario: in Ergänzung zu bestehenden Arbeitsorten wie dem Corporate Office, Home Office und Arbeiten von unterwegs.

2. Ersatz für das Corporate Office: Firmen mieten sich in Coworking Spaces ein und verzichten ganz oder teilweise (z.B. in einer bestimmten Region) auf eigene Büroräumlichkeiten.

3. Coworking als Teil des eigenen Angebots: Unternehmen bieten selbst Coworking-Möglichkeiten für Externe an und öffnen ihre Büros bzw. schaffen neue Angebote ausserhalb der eigenen Räume.

Die Studie fokussierte primär auf das erste Szenario und ging der Frage nach, wie Coworking Spaces in Ergänzung zu bestehenden Raumangeboten genutzt werden sollen. Als wichtigste Nutzenversprechen kristallisierten sich die vier folgenden Themenfelder heraus:

Vernetzung und Innovationsfähigkeit: Im Zusammenhang mit Coworking fällt immer wieder der Begriff «assisted serendipity», der für «geförderte zufällige Entdeckungen» steht und daher aus Sicht des betrieblichen Innovationsmanagements von grossem Interesse ist. Die Vernetzung von Unternehmen mit Coworking Communities ist nicht nur hinsichtlich der Innovationsfähigkeit von Belang, sondern auch was die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur betrifft.

Boundary Management: Coworking ist besonders interessant für Mitarbeitende, die gerne flexibel arbeiten möchten, aber das Bedürfnis haben, Arbeit und Privatleben voneinander zu trennen. Diesen sogenannten «Separierern» bietet Coworking die Möglichkeit, zeitliche und räumliche Arbeitsflexibilität auszuüben, ohne dass dies automatisch zu einer Vermischung von Arbeits- und Privatleben führt.

Flexibilität und Effizienz: Coworking bietet neue Möglichkeiten für die Optimierung der Raumnutzung. So ist beispielsweise denkbar, dass das Corporate Office nur auf die durchschnittliche Belegung ausgerichtet ist und in Spitzenzeiten oder für die Abwicklung von Spezialprojekten auf Coworking Spaces ausgewichen wird, wo nur die tatsächlich genutzte Fläche respektive Zeit in Rechnung gestellt wird. Eine weitere interessante Nutzung von Coworking Spaces ist, sie als Provisorien, etwa während des Um- oder Ausbaus des Corporate Office, heranzuziehen. Nicht zuletzt sei neben der beliebigen Skalierbarkeit auch auf den Aspekt hingewiesen, dass es sich bei Coworking Spaces um neutrale Räume handelt, die frei sind von Hierarchie und Firmenpolitik. Dies ermöglicht eine Zusammenarbeit in ganz anderer Atmosphäre, als dies innerhalb der Firmengrenzen möglich wäre.

Signalwirkung und Kulturwandel: Firmen, die ihren Mitarbeitenden Coworking ermöglichen, senden damit auch starke Signale aus, dass die Arbeits- und Führungskultur im Umbruch sind. Wurde das Arbeiten ausserhalb des Corporate Office bis vor kurzem noch von vielen Unternehmen lediglich toleriert, setzt die Option des Coworking ein klares Zeichen Richtung Output-Orientierung – dies im Gegensatz zu einer präsenzorientierten Führungskultur. Dieses Signal wirkt sich unabhängig von der tatsächlichen Nutzung dieses Arbeitsszenarios sowohl auf aktuelle als auch potentielle Mitarbeitende aus. Es ist deshalb auch aus einer Employer-Branding-Perspektive von Bedeutung

Die Resonanz unter den Mitarbeitenden zum Coworking-Angebot seitens ihrer Arbeitgeber war äusserst positiv. Die meisten Studienteilnehmenden deuteten es als ein starkes Signal Richtung Transformation der Arbeits- und Führungskultur und setzten es mit einer Öffnung der Ökosystemgrenzen beziehungsweise mit Innovationskraft gleich. Die tatsächliche Nutzung des Angebots lag mit durchschnittlich drei Besuchen pro Mitarbeitenden und jeweils unter 4 Stunden Verweildauer auf sehr tiefem Niveau. Die Mehrheit der Teilnehmer nutzte die Coworking Spaces primär, um ihre Produktivität zu verbessern und ihre Transferzeiten zu verringern. Die Vernetzung mit der Community vor Ort spielte eine untergeordnete Rolle, wurde aber von den meisten Teilnehmern als interessant eingestuft.

Als Negativfaktoren bzw. Herausforderungen wurden Vertraulichkeit, Datenschutz und Rückzugsmöglichkeiten genannt. Fast alle Studienteilnehmer erwähnten, dass in den meisten Coworking Spaces buchbare Räume für ungestörtes Telefonieren bzw. Durchführen von virtuellen Meetings fehlten. Dies ist ein zentraler Aspekt, wenn es darum geht, Unternehmen für Coworking zu gewinnen.

Wie die Studie aufzeigen konnte, suchten viele Pilotteilnehmer im Coworking Space eher den Rückzug (vor Arbeitskollegen und Familie) als die Vernetzung vor Ort. Da bei den meisten Coworking Spaces eher die Vernetzung als der Rückzug im Vordergrund steht, besteht hier am ehesten Handlungsbedarf, um etablierte Unternehmen für den Einsatz von Coworking zu gewinnen.

Fazit: Es geht um weit mehr als alternative Arbeitsszenarien

Veränderungen brauchen Zeit und müssen begleitet werden. Damit sich die aus Unternehmenssicht gewünschten Nutzeffekte einstellen, ist die Einführung von Coworking sowohl durch die Unternehmen selber als auch durch die Coworking Spaces gut zu begleiten, insbesondere was den Aspekt der Vernetzung mit der Community und damit indirekt die Förderung von zufälligen Entdeckungen betrifft.

Coworking geht weit über das Anbieten von alternativen Arbeitsszenarien hinaus – die Coworking-Bewegung versteht sich vielmehr als Symbol einer neuen Organisationskultur, in welcher die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Akteuren auf Augenhöhe stattfindet und die kreative Kollaboration im Vordergrund steht. In diesem Sinne können Coworking Spaces als Plattformen verstanden werden, welche Akteure aus unterschiedlichen Kontexten in neutralen und inspirierenden Räumen zusammenbringen, sei es für ein kurzes informelles Aufeinandertreffen oder für das Abwickeln von längerfristigen, gemeinsamen Projekten.

Die im Auftrag von Microsoft Schweiz, Swisscom und Witzig The Office Company gemeinsam mit den Partnern PopupOffice, Swico und Coworking Switzerland durchgeführte Studie kann unter folgendem Link heruntergeladen werden: https://aback.iwi.unisg.ch/fileadmin/projects/aback/web/pdf/studie_coworking.pdf